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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schweren Nagan in ihrer Hand.
    Entsetzt blickte der ›Professor‹ in das entschlossene, bleiche Gesicht Ludmillas. In seinen kleinen Körper hatte es eingeschlagen, eine riesenhafte Faust hatte ihn gegen die Brust geboxt, und nun zerging sein Leib im Feuer wie sein Haus. Alles in ihm brannte, sein Blut kochte plötzlich, aber er schrie nicht, obgleich er den Mund weit aufriß. Dann schwankte er, die Pistole entglitt seinen schlaffen Fingern, er fiel auf die Knie, warf den Kopf zurück und blickte in den fahlen Nachthimmel und die turmhohen Wipfel der Taigabäume.
    Ludmilla wandte sich ab und ging zurück zu dem dunklen, unversehrten Haus. Die Nagan hielt sie in der Hand, aber sie nahm nicht wahr, was um sie herum geschah. Sie sah nicht, wie die Männer von Nowo Bulinskij die bärenähnlichen Sträflinge jagten wie tolle Hasen, wie sie sie vor den Häusern erschossen oder in die Häuser eindrangen und sie dort töteten, wie Egon Schliemann seine Frau weinend durch den Schnee trug und Semjonow neben ihm herlief und Fetzen eines Kinderkleides auf eine Wunde drückte, die die ganze linke Schulter Vera Schliemanns einnahm.
    Sie sah nicht, wie verwundete Frauen, blinden Hunden gleich, durch den Schnee krochen und schrien, wie eine Frau zwischen Blut und Schneematsch hockte und einen toten Säugling in den Armen wiegte.
    Ludmilla setzte sich neben das Mädchen, legte die Nagan auf den Tisch und wartete auf den ersten, der in das Haus stürzen würde.
    Es war Willi Haffner, der Maurer aus Monschau in der Eifel, und mit ihm stürmten drei Jakuten aus Bulinskij brüllend in die Stube.
    »Ergib dich, du Wanze!« brüllte jemand. Dann erkannten sie im flackernden Feuerschein des Herdes Ludmilla Semjonowa und senkten die Waffen.
    »Du bist hier?« rief Willi Haffner schweratmend und ließ sich auf einen der Schemel fallen. »Pawel trägt Vera weg, sie hat's böse erwischt. Die anderen räumen auf!« Das klang bitter und entschlossen zugleich. »Sie haben tatsächlich die erste Salve auf die Frauen abgegeben, als die Häuser brannten. Aber dann …« Willi Haffner schwieg abrupt und starrte Ludmilla an. »Der Brand … die Häuser … mein Gott, das warst du …«
    »Ja«, antwortete Ludmilla und beugte sich über das kleine Mädchen. »Ich mußte sie doch von euch ablenken …«
    »Es war Rettung in höchster Not.«
    Semjonow war in Oleneksskaja Kultbasa nicht mehr zu finden, das war sicher. Also brach Karpuschin seinen Aufenthalt in der ins Gigantische wachsenden neuen Atomstadt ab und ließ sich nach Jakutsk fliegen. Aber nicht auf Grund einer seiner vielgerühmten ›Ahnungen‹ reiste er dorthin, sondern wegen einem jener neuen Pläne, die in seinem Gehirn Purzelbäume schlugen, seitdem er das warme, seidenweiche Körperchen Marfas gesehen und sogar – vor dem Einschlafen – berührt hatte.
    Nie werde ich Heller-Semjonow finden, dachte er. Wer weiß, wo Semjonow untergetaucht ist, dachte Karpuschin weiter und betrachtete die große Karte Sibiriens. Wie soll man in einem ganzen Erdteil einen einzelnen Menschen suchen? Westlich des Urals war es leicht … Da war alles durchorganisiert, da paßten die Dorf- und Stadtsowjets auf, da gab es überall treue Kommunisten, die die Augen offenhielten. Aber hier, in der Taiga? Frag einen Jakuten oder Tungusen, einen Ewenken oder Tschuktschen, ob er ein Kommunist ist … Er wird nicken, da-da sagen und mit einem scheelen Blick weiterziehen. Ihn interessiert das Kalben einer Renkuh mehr als ein Manifest Lenins, und wenn man's genau bedenkt, hat er recht, der sibirische Genosse, denn Lenins Worte vermehren die Herde nicht, wohl aber die kalbende Kuh. Sinnlos, völlig sinnlos war es also, diese Menschen zu fragen, ob sie einen Semjonow versteckt hielten. Wer das in Moskau nicht einsah, war ein armer Geist, und Karpuschin kam zu dem erschreckenden Ergebnis, daß es eigentlich auch im Kreml wenig große Geister gab.
    Man sollte ein ganz anderes Leben führen, dachte Karpuschin. Ein guter Startplatz dafür ist Jakutsk. Hier kommen Mongolen hin, um Handel zu treiben; hier sitzt eine chinesische Handelskommission, die den Seidenhandel ausbauen will; hier ist der Weg offen zum Süden … Und man sollte, so dachte Karpuschin mit bebendem Herzen, der Sonne und der Wärme entgegenziehen, wenn man schon im Alter das große Glück hat, den Frühling noch einmal zu erleben.
    Also flog man am nächsten Tag nach Jakutsk, und in dieser Nacht besoff sich Karpuschin nicht, sondern aß bei den Ärzten ein

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