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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nowo Bulinskij die Senke, wo im dichten Urwald die Siedlung der Brodjagi lag. Das große Palisadentor war geschlossen; und vor dem Tor stand allein der kleine ›Professor‹, waffenlos, an einem Knüppel einen weißen Fetzen schwenkend, als die Schlitten in einem weiten Halbkreis vor ihm auffuhren und die neunzig Männer in den Schnee sprangen.
    Schliemann, Semjonow, Haffner und Wancke gingen auf ihn zu. Hinter sich hörten sie, wie die Gewehre durchgeladen wurden. In einem der Schlitten lag eine Kiste mit Handgranaten … Während der Fahrt hatte man sie zu fünfen zusammengebunden und geballte Ladungen aus ihnen gemacht, um die Palisaden aufzusprengen.
    »Bevor wir verhandeln«, sagte der ›Professor‹ mit ruhiger Stimme, »wäre es nützlich, Bürger, wenn ihr einen Blick in das Lager werfen würdet. Dann können wir weitersprechen.« Er trat zurück, öffnete das Tor und ließ Schliemann und die anderen einen Blick auf den Dorfplatz werfen.
    Dort standen in einem großen Kreis die Frauen – die sechs, die schon seit Jahren hier lebten, und die vierzehn neu geraubten –, und vor ihnen standen die Kinder. Vier Säuglinge, auf Fellen und in Decken gewickelt, lagen auf dem Schnee. Die Kinderaugen blickten groß und ängstlich auf das Tor, aber sie weinten nicht. Hinter den Kindern und Frauen standen die Brodjagi, die Gewehre in den Händen, die Pelzmützen tief im Gesicht. Es bedurfte keiner Worte, um zu wissen, was geschehen sollte.
    »Ist es klar, Bürger?« fragte der ›Professor‹.
    »Ja«, antwortete Schliemann gepreßt. »Was verlangt ihr?«
    »Freies Geleit und keine Verfolgung.«
    »Und die Frauen?«
    »Kommen mit uns.«
    Schliemann wandte sich ab und riß seine Maschinenpistole hoch. Semjonow hielt ihm die Hand fest, die zum Abzug fuhr, und schlug sie zur Seite.
    »Die Kinder«, schrie er. »Mensch, sieh dir die Kinder an …«
    »Siebenunddreißig Kinderchen sind's«, sagte der ›Professor‹ milde. »Hinter ihnen steht Kolka, ein guter Schütze. Und er hat wie du eine Maschinenpistole. Wie schnell sind siebenunddreißig Schuß hinaus …«
    Schliemann blickte wieder hinüber zu dem Kreis der Frauen und Kinder. Er sah seine Vera vor einem kleinen, dicken Sträfling stehen, und das Gewehr des Brodjaga zeigte genau auf Veras schönen Nacken.
    In diesen Minuten erreichte Ludmilla auf ihrem Renhirsch das Dorf der Brodjagi von der anderen Seite her. Einen Halbkreis war sie geritten und hielt nun vor der hohen Palisadenwand, sprang in den Schnee und band den Hirsch an einen Baum.
    Niemand sah sie, niemand störte sie. Und sie ging die Palisaden entlang, durch den kniehohen Schnee, und sah hinauf zu den drohenden Spitzen. Sie suchte etwas an der langen, in den Waldboden gerammten, von Stürmen, Eis und Sonne ausgebleichten Holzwand.

15
    Eine Birke war's. Ganz nahe an der Palisadenwand war sie gewachsen, ein junges Stämmchen, das sich wie haltsuchend an die Bretterwand lehnte und dessen dünner Wipfel kaum über die Spitzen der Pfähle hinausragte. Mit verharschtem, angewehtem Schnee und Eisklumpen war sie übersät, und es knackte in ihrem dünnen Stamm, als Ludmilla die Arme streckte, sich an sie klammerte und sie zu erklettern begann.
    Ein paarmal rutschten Ludmillas Hände am Eis des Stämmchens ab, und als sie fast die Spitzen der Palisaden erreicht hatte und schon nach vorn griff, um sich an die Bretterwand zu klammern, glitten ihre Finger wieder ab, und sie fiel aus zwei Meter Höhe zurück in den Schnee und versank bis zu einem halben Meter.
    Noch dreimal versuchte sie es. Sie biß die Zähne zusammen; die Lippen waren nur mehr ein Strich; ja, sie riß sich die Pelzmütze von dem schweißroten Gesicht, schüttelte wild die Haare, sprang die Birke noch einmal an und kletterte wieder an dem glatten Stamm hinauf, bis sie die Hände um eine der Palisadenspitzen krallen konnte. Keuchend, mit aufgerissenem Mund, aus dem der heiße Atem wie eine dichte Wolke wehte und sofort in der kalten Luft zu klirrendem Nebel gefror, hing sie dann oben an der Bretterwand, zog sich ächzend empor und preßte sich seitlich mit der Schulter zwischen zwei der angespitzten Pfähle. So hing sie eine Weile, starrte in das Dorf der entsprungenen Sträflinge, sah in der Ferne das große Frauenhaus, von dem Semjonow erzählt hatte, und im weiten Halbkreis herum die Hütten der Männer. Vom Tor her flatterten Laute zu ihr. Stimmen, Geschrei, Frauenweinen. Als sie wieder Kraft gewonnen hatte, zog sie sich vollends auf die

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