Liebesnächte in der Taiga
hinzugekommenen Soldaten.
Als der Zug endlich weiterfuhr, nachdem man die verbrannten Wagen abgekoppelt hatte und stehen ließ, damit man sie von der nächsten Station abholen konnte, kam der Waggonälteste in Semjonows Ecke und verbeugte sich.
»Brüderchen, ich spreche im Namen aller«, sagte er. »Wir haben dich verkannt. Ein guter Mensch bist du, ein tapferer Mensch, und dein Weibchen ist ein wahrer Satan. Laß dich umarmen, Genosse.«
Und sie umarmten und küßten sich dreimal und gehörten nun bis Samarkand zur großen Familie. Und es war Semjonow, der von jetzt an im Wagen befahl.
So erreichten sie Samarkand, die Stadt des großen Helden und Tyrannen Timur.
Das Tor in die Freiheit. Die Pforte zum neuen Paradies.
Im Süden, ein Sprung nur, verglichen mit den Entfernungen, die hinter ihnen lagen, zog sich die persische Grenze durch das Gebirge.
»Wir schaffen es, Ludmilluschka«, sagte Semjonow, als sie endlich auf dem Boden Samarkands standen und aufblickten zu den in der Sonnenglut flimmernden Bergketten. »Ich fühle es … wir schaffen es. Nie wird uns Karpuschin mehr einholen …«
22
Erinnern wir uns noch an Maxim Sergejewitsch Jefimow?
Krasnojarsk … Ludmilla Barakowa, die Kommissarin … Jefimow, der Mann … Aha!
Ja, er ist es, Genossen. Jefimow, der ehemalige Distriktkommissar von Krasnojarsk, den man nach drei Wochen quälender Ungewißheit und selbstanklägerischer Reden weit weg, in den elendsten Winkel Rußlands versetzte, ihn lebendig begrub, weil er bei der Jagd nach Semjonow versagte und behauptet hatte, seine Kommissarin Ludmilla Barakowa sei über alle Zweifel erhaben und eine Kommunistin, deren Namen man auf die Fahnen schreiben sollte. Das erste Opfer der gnadenlosen Jagd wurde er selbst. Aber er überlebte, und deshalb sollte er eigentlich glücklich sein.
Noch immer, nach einem Jahr nun, hockte er in der größten der fünf Steinbaracken, die den Namen Kisyl-Polwan trugen und eine schmale Straße bewachten, die durch ein steiniges Tal hinauf zu den Karabergen zog und dort auf iranischem Gebiet an eine ausgebaute breitere Straße stieß, die nach Mesched, der uralten Teppichknüpferstadt, führte.
So weit war es mit Maxim Sergejewitsch gekommen. Das traurige Schicksal eines Mannes, der von einer Karriere in Moskau träumte.
Nun, plötzlich, wie Schnee aus sonnendurchglühtem Himmel, tickte der Telegraf in Jefimows Dienstzimmer und gab die Meldung durch.
Sperrung aller Grenzen. Es sind unterwegs und sofort festzunehmen, bei Widerstand ohne Rücksicht zu erschießen: Pawel Konstantinowitsch Semjonow und seine Frau Ludmilla und beider Kind Nadja Pawlowna …
Jefimow saß lange und stumm vor dem Blatt Papier, auf dem er die Durchgabe notiert hatte.
Sie lebt noch, dachte er. Und ein Kindchen hat sie, meine kleine Ludmilla mit den feurigen schwarzen Augen. Noch immer ist sie auf der Flucht, eineinhalb Jahre lang. O mein schwarzes Täubchen … so sind die Jäger. Auf der Spur eines Wolfes vergessen sie Zeiten und Räume. Es ist die Natur des Vernichtens, die sie vorwärtstreibt.
Aber dann trat Jefimow ans Fenster und sah hinüber auf die Straße, die zum Tedschen führte und über eine Holzbrücke, die jedes Jahr nach der Schneeschmelze in den Bergen, wenn der Fluß durch seine Nebenbäche zum wilden Wasser wurde, weggerissen wurde und jedes Jahr in der gleichen, sinnlosen Form wieder aufgebaut wurde. Hinter dieser Brücke ging die Straße weiter nach Bajram-Ali, der kleinen Stadt an der Bahnlinie von Samarkand nach Aschchabad, und weiter nach Krasnowodossk am Kaspischen Meer. Die Transkaspische Bahnlinie, so heißt sie stolz.
Wenn sie dort über die Brücke kommen, was mache ich, dachte Jefimow. Es wäre einfach, sie von hier aus zu erschießen. Ein guter Schütze war er, in Krasnojarsk hatte er oft seine Künste bei Militärfesten gezeigt. Und auch hier in Kisyl-Polwan hatte er sie einmal gebraucht. Ein Bär hatte ein Schaf mitgeschleppt, oben, auf einer Felsnase saß er, sicher und frech, und keiner kam an ihn heran … Da war es Jefimow mit seinem guten Auge, der ihn abschoß wie eine Zwölf auf der Scheibe eines Schießstandes.
»Verhüte der Himmel, daß sie kommen«, sagte er laut und ging zurück ins Zimmer. Aus einer Holzkiste nahm er eine Handvoll Kischmisch, das sind trockene Rosinen aus Samarkand, aber sie schmeckten ihm heute bitter, und er warf sie zurück zu den anderen. Damit niemand las, was von Norden her auch nach Kisyl-Polwan kommen konnte, zerriß er den
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