Liebesnächte in der Taiga
Meer und mit einem Boot übersetzen zur iranischen Küste?
»Komm«, sagte er entschlossen. »Schlimmer als die Taiga im Dezember ist es nicht … und wir haben sie besiegt! Schleich dich an den Häusern entlang, ich werde den Posten betäuben …«
Auf dem Bauch wie Molche krochen sie vom Fluß seitlich der Straße durch das steinige, mit Steppengras bewachsene Tal zu den fünf Steinbaracken. Im Schatten des Kommandantenhauses warteten sie und starrten hinüber zu dem Gefreiten Iljitsch Wladimirowitsch. Noch war er unruhig, stampfte hin und her, setzte ab und zu sein Fläschlein an die Lippen und trank. Aber er schlief nicht, er setzte sich nicht, er pendelte vor dem Schlagbaum wie ein unruhiges Tier hinter einem Gitter.
Semjonow sah in den Himmel. In zwei Stunden stieg die Sonne auf, dann mußten sie in Persien sein. Zwei Stunden nur noch bis zur Freiheit …
»Ich werde ihn töten müssen«, sagte er zu Ludmilla. Sie nickte und schwieg. Semjonow entsicherte die Nagan, griff in die Tasche, holte ein dickes Stück Brot heraus, wickelte es mit einem Taschentuch um den Lauf und vor die Mündung der Nagan.
»Was soll das?« flüsterte Ludmilla.
»Das haben wir in Alaska gelernt. Ein natürlicher Schalldämpfer. Noch besser ist's, wenn das Brot naß ist. Ein Schuß klingt dann wie ein Schlag mit einem nassen Handtuch.«
Und da geschah es, daß Iljitsch sich vom Schlagbaum abwandte und – wer weiß, was er wollte – langsam auf das Haus des Kommandanten zuging.
»Schieß!« flüsterte Ludmilla. Ihre Hand krallte sich in den Arm Semjonows. Er spürte ihre Nägel in ihrem Fleisch brennen. »Bei allen Heiligen … schieß …«
Semjonow hob die Pistole. An die Hauswand gedrückt, gleich neben der Tür, standen sie im Schatten, und nun blieb Iljitsch Wladimirowitsch stehen, suchte in den Taschen seines Pelzmantels nach einer Papyrossa, fand sie und zündete sie an. Doch bevor der schwache Lichtschein des Feuerzeuges gegen die Hauswand fiel und die beiden Menschen aus der Dunkelheit hob, hatte Semjonow die Tür aufgeklinkt, Ludmilla ins Haus geschoben und war hinterhergesprungen.
Nun standen sie im dunklen Raum, irgendwo, aus einer Ecke, hörten sie das Schnarchen eines Mannes, und als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannten sie Gegenstände. Einen Tisch, Telegrafiergeräte, ein Radio, Telefon, einen Gewehrständer mit drei Tokarevs, Stühle, im Hintergrund ein Bett und darauf, in Uniform, den schlafenden Kommandanten.
Das Gefühl, allein nur das Gefühl, nicht allein zu sein, weckte Jefimow. Er schlug die Augen auf und schob die Beine vom Bett. Blinzelnd sah er um sich.
Neben dem Telefon stand Semjonow, hinter ihm preßte sich Ludmilla an die Wand. Sie sahen auf den Mann, der sich vom Bett erhob und zur Lampe gehen wollte.
»Stoj! Bleib stehen, Brüderchen!« sagte Semjonow laut. Jefimow zuckte zusammen, wie gelähmt stand er mitten im Raum, das eine Bein vor, im Schritt wie von einer Riesenfaust festgehalten und an den Boden genagelt. »Geh zurück zum Bett und leg dich wieder hin!« sagte Semjonow kalt. »Kein Licht! Und die Hände zurück und im Nacken gefaltet …«
Sie ist da, dachte Jefimow. Ludmilla ist hier im Raum. O Himmel, konntest du das nicht verhüten? Wie mag sie aussehen? Hat sie das Kindchen bei sich? Ob sie mich erkennt? O nein, zu dunkel ist's … aber meine Stimme wird sie erkennen … meine Stimme, die einmal zu ihr sagen wollte: Heiraten Sie mich, Ludmilla Barakowa …
»Warum wollen Sie mich erschießen?« fragte Jefimow und blieb stehen. »Lassen Sie uns Licht machen, Semjonow, und darüber nachdenken, was zu tun ist.«
»Maxim Sergejewitsch«, flüsterte Ludmilla. Und dann lauter, daß Semjonow es hörte: »O Gott, das ist nicht möglich. Es ist Maxim Sergejewitsch …«
»Sie erkennen meine Stimme noch, Ludmilla?« fragte Jefimow glücklich. »Ich danke Ihnen.«
Semjonow wandte sich zu Ludmilla um. »Wer ist Maxim Sergejewitsch?«
»Jefimow!« rief Ludmilla. Wie befreit klang es, wie ein Jubelschrei. Sie wollte an Semjonow vorbei zu dem starr stehenden Menschen, aber er hielt sie fest. Jefimow sah auf die Schatten neben der Telegrafenwand.
»Wollen Sie noch immer schießen, Pawel Konstantinowitsch?«
»Nicht, wenn Sie versprechen, keinen Alarm zu schlagen.«
»Semjonow, Sie haben Ludmilla bei sich, das rettet Sie! Wären Sie allein im Raum, stände ich nicht mehr mitten im Zimmer.« Jefimow setzte das Bein zurück. »Darf ich Licht machen?«
»Ja.«
Als
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