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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stehen, mit zitternden Körpern, dampfend und heiser keuchend. Mit den starken Geweihen forkelten sie den Schnee von den herabhängenden Ästen, warfen sich gegen die vereisten Stämme und versuchten, die Last von ihren Rücken abzustreifen.
    Nach dem zweiten Anprall, der die Stiefel aufriß und die Fufaika zerfetzte, fiel Ludmilla in Ohnmacht. Der schwere Himmel sank auf sie herab, aber er war nicht mehr von schwärzlichem Grau, sondern übersät mit hellen Sternen, und die Sterne wurden rot und tanzten wie die Bauern beim Erntefest. »Pawluscha!« schrie sie mit letzter Kraft. »O Pawluscha!« Dann erloschen auch die feurigen Sterne. Nur ein Brennen spürte sie noch, ein höllisches Brennen im rechten Bein, bis hinauf zur Hüfte.
    Semjonow lag auf seinem Hirsch und starrte in die Zweige, die über ihn hinwegrauschten, sah in den bleiernen Himmel und versuchte immer wieder, den Kopf zu wenden, um Ludmilla zu sehen. Ab und zu kam ihr Hirsch in sein Blickfeld, wenn das rasende Tier seitlich an ihm vorbeijagte. Dann starrte Semjonow auf den schmalen Körper, auf die Fetzen der Steppjacke, auf die schwarzen Haare, die zwischen dem Geweih des Hirsches flatterten. Sein Herz zerriß, sein Mund öffnete sich zu einem wilden Schrei, aber kein Ton kam aus seiner Kehle. Es gibt ein Entsetzen, das stumm macht.
    Ein paarmal stöhnte Semjonow auf, wenn sein Hirsch sich gegen die Baumstämme warf, um die Last abzustreifen. Dann war es ihm, als zerbrächen in ihm alle Knochen, als verwandle sich sein Leib in eine breiige Masse.
    Nach drei Stunden blieben die Hirsche stehen, hocherhobenen Hauptes, die Geweihspitzen fast bis auf die leblosen Körper auf ihren Rücken gesenkt. Nun standen sie da, eng nebeneinander, sahen in den Wald, schnupperten, bewegten die Lauscher und zitterten vor Erschöpfung.
    Weit, weit weg hörten sie eine Stimme. Ein Mensch. Ein gewohnter Laut. Und nun der Ruf eines anderen Hirsches.
    Sie gaben Antwort, schlugen mit ihren Geweihen in den Schnee und gingen dann langsam, müde und doch mit einer majestätischen Würde weiter durch den Wald, den Lauten entgegen, die ihr feines Gehör aufnahm.
    So fand sie Jurij Fjodorowitsch Jesseij, als er weinend und fluchend, Gott anklagend und Gott anflehend durch die Taiga fuhr und immer wieder in die Dunkelheit schrie. Als er die Hirsche sah, sprang er mit einem weiten Satz aus dem fahrenden Schlitten und breitete die Arme aus.
    »Stoj!« brüllte er. »Stoj! Ihr lieben guten Tierchen, bleibt stehen! Wartet ihr wohl? Ich helfe euch, ich befreie euch von euren Qualen! Stoj, ihr Süßen! Stoj!«
    Wie ein Betrunkener stolperte er durch den Schnee auf die Tiere zu, und er war auch trunken vor Glück und Ergriffenheit. Zuerst strich er über das vereiste Gesicht Ludmillas. Als er sah, daß aus ihren Nasenlöchern ganz feine, zarte Atemwölkchen kamen, bekreuzigte er sich und blickte hinauf in den Nachthimmel.
    »Oh, dank dir, Gospodin«, sagte er laut. »Du bist der wahre Gott …«
    Er schnallte Ludmillas und Semjonows erstarrte Körper von den Rücken der Hirsche, trug sie in den Schlitten, bedeckte sie mit Fellen, kehrte zurück zu den bebenden Tieren und streichelte ihnen über den Kopf und den Geweihansatz.
    »Ihr lieben Tierchen«, sagte Jurij, und seine von gefrorenen Tränen umrahmten Augen wurden traurig. »Es wäre schade, euch den Wölfen zu überlassen.«
    Aus der Tasche zog er einen Revolver, setzte ihn den Hirschen an die Stirn und erschoß sie. Darauf schleppte er auch die Riesenlast der toten Rene zum Schlitten und warf sie neben Semjonow und Ludmilla auf die Decken. Keuchend dehnte er sich dann, denn auch für einen Mann wie Jesseij ist das Tragen zweier ausgewachsener Hirsche eine harte Arbeit.
    Jeder Jäger in der Taiga hat in den riesigen, unwegsamen Urwäldern seine Stationen und Lager. Klug sind sie über das ganze Gebiet verteilt, in dem er jagt, denn oft kommt es vor, daß er drei oder vier oder sogar acht Wochen im Wald bleibt. Man soll nicht denken, daß er dann im Schnee schläft wie ein Schneehase, unter einen Baum kriecht oder in einem Zelt um einen Petroleumofen hockt. Ein richtiger Jäger lebt bequem auch in Gebieten, die außer ihm noch kein Mensch betreten hat.
    Erdhöhlen sind's, in denen er wie ein Bär im Winterschlaf lebt, warm, behaglich, sicher vor Wölfen und Frost, eisigen Winden aus dem Norden und tagelangem Schneefall. Meistens sind diese Höhlen in einen Hügel gegraben, einem Stollen gleich. Dicke Baumstämme stützen die Decke und

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