Liebesnächte in der Taiga
Kommissarin.«
»Ich war es, Jurij Fjodorowitsch. Weil ich es nicht mehr sein wollte, weil ich Pawluscha liebe, sind wir in die Taiga geflohen.«
»Und hier hätte man euch fast getötet!«
»Sie waren im Recht, Jurij.« Semjonow umklammerte den heißen Aluminiumbecher. In kleinen Schlucken trank er den Sud aus Teeblättern und Wodka. Erinnerungen stiegen in ihm auf … der schreckliche Todesmarsch durch Alaska, die Blockhütte am zugefrorenen Peak-River, die drei Sanitäter, die ihn in den Schnee legten und massierten, die halbe Flasche Whisky, die Leutnant Oaks ihm gewaltsam zwischen die Zähne schob und die er leertrinken mußte. Bilder einer Qual, die sich heute wiederholten, in einem Land, in einer Urwelt, für deren Eroberung er gedrillt worden war bis an die Grenze des menschlich Erträglichen.
»Du kannst uns umbringen«, sagte Semjonow und setzte den Becher neben das Feuer. »Aber wenn du ein fühlender Mensch bist, Jurij, wenn du Gott im Herzen hast, wenn du überhaupt eine Seele spürst … dann laß Ludmilla leben und töte nur mich!«
»Ihr redet Unsinn, Freunde.« Jesseij legte neues Holz auf die Glut. Sein haariges, riesiges Gesicht schwamm im Feuerschein. »Ich bringe euch nach Wiwi. Zu einem verschwiegenen Brüderchen. Der wird euch pflegen und heilen.« Er goß seinen Becher voll Tee und schlürfte ihn laut.
»Du wirst in Nowa Swesda Schwierigkeiten haben, Jurij.« Semjonows Augen tränten. Das frische Holz qualmte, und der Rauch zog beizend durch die Höhle.
»Wer kann Jurij Fjodorowitsch Schwierigkeiten machen, he, Freunde?« Jesseij lächelte breit. »Ich werde Uman mit dem blanken Hintern auf den Ofen setzen!«
»Sie werden dich ausstoßen!«
»Sie werden friedlich sein wie gemelkte Kühe!« schrie Jurij und hieb mit beiden Fäusten auf den Boden. »Oder ich zertrümmere ihre Köpfe wie faule Kartoffeln!«
Am Morgen kehrte Jesseij nach Nowa Swesda zurück.
Er hatte Ludmillas und Semjonows Wunden verbunden, die erschossenen Renhirsche abgehäutet und zerteilt, den Erschöpften noch einmal Tee mit Wodka eingeflößt, bis sie umfielen und schliefen. Er deckte sie zu, rollte sie in Felle und schob die geflochtene Tür vor die Höhle, schaufelte Schnee davor und überzeugte sich, daß auch ein starker Wolf nicht in der Lage war, die Tür einzurennen, wenn er den Geruch von Fleisch in der Nase hatte.
Still und ernst kehrte er ins Dorf zurück. Er stieg vor seinem Haus aus dem Schlitten, nahm die Häute der beiden Hirsche, ging hinüber zum Hause Umans, klopfte an und warf dem Alten die Häute an den Kopf. Dann kehrte er um, betrat sein Haus und fand Marussja, das Urmütterchen, am Herd sitzen und an einer Speckschwarte kauen.
»Komm, setz dich, mein Söhnchen«, sagte sie und zeigte auf die schöne Ecke. Dort standen auf dem Tisch ein Teller, eine Schale mit frischem, duftendem Brot, Salz und geschabtes Rentierfleisch, und nun brutzelte sogar eine Pfanne, und es roch nach Eiern mit Speck. »Ein kaltes Windchen weht, nicht wahr?« murmelte die Alte. »Hast du etwas gefangen, mein Jurischka?«
»Der Teufel soll dich holen!« brüllte Jurij Fjodorowitsch. Er warf den Teller an die Wand, kippte das Salzfaß auf die Dielen und zermalmte das Brot zwischen seinen gewaltigen Händen.
»Der Irrtum kommt vom Teufel! Verfluche ihn nur, Söhnchen«, sagte Marussja. Auf ihren krummen Beinen trippelte sie zum Schrank, holte einen neuen Teller und stellte ihn vor Jurij auf den Tisch. Dann watschelte sie in die Vorratskammer, schleppte mit Stöhnen und Keuchen einen halben Sack heran, knallte ihn vor Jurij auf den Boden und wackelte wieder davon, um vier große Laibe Brot heranzuschaffen.
»Noch sieben Teller haben wir!« sagte Urmütterchen Marussja sanft. »Sind sie weg, essen wir aus der Pfanne, mein wildes Bärchen! Nur das Salz ist wenig … du mußt es aus Wiwi wieder mitbringen.«
Jurij Fjodorowitsch schwieg. Er starrte vor sich auf den Teller, gab dem Salzsack einen gewaltigen Tritt und zwang sich, den köstlichen Duft des frischen Brotes zu ignorieren.
Marussja kam mit der Pfanne. Die Eier waren goldgelb, der Speck braun und knusprig. Die Butter tanzte über den Pfannenboden. O Brüderchen, wem läuft nicht das Wasser im Mund zusammen?
»Du hast sie gefunden?« fragte das Urmütterchen, als Jurij stumm und mit verkniffenen Augen aß. Und da er keine Antwort gab, fragte sie weiter: »Lebten sie noch?«
»Lebt Uman? Lebst du, du Hexe?« schnaufte Jurij. »Wenn ihr lebt, leben sie
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