Liebesnächte in der Taiga
befestigen die Wände. Der Boden ist glattgetreten, und wenn es ein ganz vornehmer Jäger ist wie Jurij Fjodorowitsch Jesseij, so liegen auf dem Boden Säcke und Ölpapier, die man in der Faktorei kaufen kann, zwar nicht, um Höhlenböden damit auszulegen, sondern um undichte Strohdächer abzudecken.
In diesen Erdhöhlen läßt es sich leben, Freunde! Dort gibt es Lebensmittel und Preßtee, Kochkessel und trockenes Holz, ja sogar eine Blechflasche mit Wodka, um die eingefrorenen inneren Geister aufzutauen. In einer solchen Höhle kann man fröhlich sein, während draußen der Sturm heult und die Wölfe vor Hunger gegen die Tannen springen und die Äste fressen.
Jesseij erreichte nach einer halben Stunde eine dieser Stationen. Er trug die noch immer leblosen Körper Semjonows und Ludmillas in die Höhle, entfachte ein Feuerchen und zog den Ohnmächtigen die Kleider von den erstarrten Leibern. Eine große Mühe war's, denn das Eis knirschte in den Fasern und der Stoff stand wie ein Brett. Als er Ludmilla nackt vor sich liegen sah, diesen zarten weißen, schmalen Körper mit den gewölbten Brüsten, strich er ganz leicht mit beiden Händen über ihre weiße Haut und durch das mit Schnee bedeckte schwarze Haar.
»Mein armes Vögelchen«, sagte er. »Wie kann ein ausgewachsener Mensch so kindlich sein.« Er dachte an die Riesenweiber von Nowa Swesda, an ihre säulenartigen Schenkel und ihre Brüste wie Mehlsäcke, an ihre Hintern, mit denen sie einen Ochsen wegdrücken konnten, und er seufzte, kroch aus der Höhle, holte eine Schüssel voll Schnee und begann, Ludmilla und Semjonow mit Schnee einzureiben und zu massieren.
Zunächst achtete Jurij darauf, daß die schrecklichen Schürf- und Reißwunden an den Beinen und Schenkeln wieder zu bluten begannen. Als das Blut warm über die Körper lief, grunzte er zufrieden, massierte Herz und Bauch der Ohnmächtigen, drückte ihren Brustkorb ein und ließ ihn wieder aufschnellen, ja, er ohrfeigte sogar Semjonow und schrie ihn an.
Sagt selbst – müssen da nicht Tote aufwachen?
Zuerst schlug Semjonow die Augen auf. Sein Blick war starr, glasig, weltentrückt, aber dann erkannte er Jurij, bekam noch eine Ohrfeige, richtete den Kopf etwas auf und sagte mit restlicher Kraft: »Du bist ein Teufel, Jurij! Laß uns sterben.«
Jesseij nahm es ihm nicht übel. Er wandte sich Ludmilla zu, nachdem er über Semjonow eine Decke aus sechs zusammengenähten Hundefellen geworfen hatte. »Lieg ruhig!« sagte er noch. »Atme tief! Du bist gerettet, Brüderchen …«
Er beugte sich wieder über Ludmilla und sah, daß auch sie die Augen aufgeschlagen hatte. Ihr Blick war klar und gefaßt. Jurij wiegte den dicken Kopf hin und her, überlegte sich, ob es jetzt noch angebracht sei, den nackten Leib zu massieren, zog eine andere Decke heran und legte sie über den zarten, weißen Körper.
»Morgen wird mein Vögelchen wieder zwitschern können«, sagte er dabei.
»Warum tust du das?« fragte Ludmilla. Sie wandte den Kopf zur Seite, sah Semjonow unter den Hundefellen und versuchte, sich aufzurichten. »Lebt er?«
»Ja, mein Töchterchen. Aber er will nicht.«
»Er ist ein kluger Mann.« Ihr Kopf fiel zurück auf den Höhlenboden. Der Schmerz in ihrem Bein hämmerte bis in die Schläfen. Sie spürte, wie das Blut warm an ihr herunterrann. »Was hast du mit uns vor?« fragte sie leise. »Genügt dir dieser Tod noch nicht? Gibt es schlimmere Arten?«
»Du redest zuviel, Töchterchen.« Jurij kroch in den Hintergrund der Höhle und holte Preßtee, einen Kessel, Aluminiumbecher und eine Flasche Wodka.
Er kochte Tee, indem er Schnee im Kessel schmolz, die Teeblätter aufkochen ließ und in den Sud Wodka goß. Darauf trank er zuerst, schmatzte wohlig und setzte den Becher an die Lippen Ludmillas. Nach zwei Schlucken hustete sie und spuckte die Flüssigkeit wieder aus. Jesseij lachte, ging zu Semjonow und gab auch ihm zu trinken. Erst dann, als ihre Körper wieder warm waren und sie, in Felldecken gehüllt, gegen die Wand gestützt, um das Feuerchen saßen, sprach er wieder und starrte dabei in die kleinen, züngelnden Flammen.
»Ich habe die Uniform auch gesehen, Freunde«, sagte er. »Und ich habe Marussja, das Urmütterchen, fast getötet und bin euch nachgejagt und habe euch gefunden. Und jetzt werdet ihr fragen, warum, und ich kann euch keine Antwort geben, denn ich weiß es selber nicht.« Er sah Ludmilla an und erkannte in ihren Augen Tapferkeit und Angst zugleich. »Du bist eine
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