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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Arizonawüste. Heute abend gehen wir aus, morgen kannst du schlafen, bis du dusselig bist. Übermorgen geht der Dienst los, wenn Lohrfeld über den Wolken nach Bonn schwebt und der Name Bradcock aus den Listen des KGB gestrichen ist.«
    »Und was ist mit Heller?« fragte Bradcock und trat ins Zimmer zurück. »Sucht ihr ihn noch immer?«
    »Natürlich.«
    »Und wenn ich ihm irgendwo begegne?«
    »Dann mußt du entscheiden, James, was du in erster Linie bist: Freund eines Verräters oder ein Amerikaner!«
    James Bradcock schwieg und kniff die Lippen zusammen.
    Er wußte, was man von ihm verlangte.
    Als Jurij Fjodorowitsch Jesseij aus der Faktorei Wiwi zurückkam und das Haus der Semjonows dunkel fand, war er sehr verwundert und tappte ratlos durch die leeren Räume. Dann ging er zu seinem Haus, wo er von dem herrlichen Duft frischen Brotes empfangen wurde. Urmütterchen Marussja hatte einen großen Laib angeschnitten und so auf den Tisch in der schönen Ecke gelegt, daß Jurijs Blick schon bei seinem Eintritt auf das Brot fallen mußte und ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
    »Was ist mit Pawel und Ludmilla, Mütterchen?« fragte Jurij und setzte sich, nachdem er den Schnee von seinen Stiefeln gestampft hatte. »Alles ist dunkel bei ihnen …«
    »Iß, mein Söhnchen!« sagte Marussja beflissen und holte Ziegenbutter und Käse. »Wie war es in Wiwi? Was erzählt man sich in der Welt da draußen?«
    Jurij spürte, daß etwas nicht stimmte. Er nahm das Brot, warf es gegen die Wand und fegte Butter und Käse auf den Boden. Das war unfein, aber wirksam. Marussja stieß einen Fluch aus und ergriff zum Schutz eine große eiserne Kelle.
    »Was ist mit meinem Bruder Pawel?« schrie Jurij. »Warum ist es dunkel und leer bei ihm?«
    »Man wird Väterchen Uman fragen müssen«, sagte die krumme Alte. »Es hat sich Böses ereignet, mein Söhnchen. Du dauerst mich …«
    Jurij rannte hinaus und jagte hinüber zum Hause Umans. Dort waren noch andere versammelt, vor allem die Riesenweiber. Auf dem Tisch lag die Uniform Ludmillas. Ein Blick genügte Jurij, um sie zu erkennen. Er brüllte auf und riß sie vom Tisch, hob sie hoch und wußte, wer sie einmal getragen hatte.
    »Wo sind sie, Freunde?« schrie er. »Was habt ihr mit ihnen gemacht? O ihr Idioten! Ihr Mistköpfe! Ihr habt sie in den Wald gejagt, nicht wahr? Nach Tatarenart habt ihr sie vernichtet! Sagt es … ich sehe es euch an! O ihr Mißgeburten! Ihr Hurensöhne! Nie gab es bessere Menschen als Pawel und Ludmilla!« Er warf dem alten Uman die Uniform an den Kopf, stieß zwei Weiber, die ihm im Wege standen, beiseite, daß sie aufkreischten, und rannte hinaus in die Nacht.
    Noch einmal kehrte er in sein Haus zurück, wo Marussja, das Urmütterchen, am Ofen saß und einen Brei anrührte.
    »Ersticken sollst du an deinem Brei!« brüllte Jurij, nahm die Schüssel und stülpte sie der Alten über den Kopf. Dann zertrümmerte er den Tisch und die Bank, rannte hinaus zu seinem noch angeschirrten Schlitten und raste hinaus in den Wald wie ein wilder Geist.
    Vor den Häusern standen alle Bewohner von Nowa Swesda und sahen ihm nach. Sie rührten sich nicht. Nur Uman sagte mit zitternder Stimme: »Haben wir etwas falsch gemacht, Brüderchen?« Und da niemand ihm antwortete, hob er die Hände zum Nachthimmel und sagte laut: »Wie soll man diese Welt noch verstehen, Herr? Recht muß doch Recht bleiben …«
    Brüllend jagte Jurij durch den Wald. Seine Renhirsche flogen fast, und er spürte die eisige Kälte nicht und nicht den Wind, der ihm das Gesicht zerschnitt wie mit tausend kleinen Messern.
    »Pawluscha!« brüllte Jurij in die weiße Nacht der Taiga. »Ludmilluschka! Pawel! Paaawelll! Stoj! Stoj! Pawel …«
    Aus seinen großen Augen tropften Tränen, und sie gefroren sofort im Bartgestrüpp und glänzten wie Perlen.
    Blind vor Schmerz, durch die Last der auf ihren Rücken gekreuzigten Menschen fast wahnsinnig geworden, rasten die beiden Hirsche durch den Wald. Ihr schauriges, kehliges Gebrüll wurde von der Stille zurückgeworfen, klang in vielfältigem Echo wider, röhrte hinauf in den dumpfen Abendhimmel und ließ die streunenden Wölfe verharren.
    Aber so wild die beiden Tiere auch waren, sie blieben zusammen. Seite an Seite rasten sie durch den Schnee und über vereiste Bachläufe, rannten bewaldete Hügel hinauf und stürzten sich in enge Täler hinab, über Steilhänge, deren gefrorener Schnee unter ihren Hufen knirschte und wie Glas zerbrach. Ab und zu blieben sie

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