Liebesnächte in der Taiga
dann zitterte sie, als friere er ständig.
Seine Suche nach Franz Heller, seine große Lebensaufgabe, hatte einen Gegenpol bekommen. Moskau, genauer gesagt General Chimkassy, meldete, daß der GRU erfahren habe, Major Bradcock vom amerikanischen CIA habe Rußland gar nicht verlassen, sondern ein Doppelgänger. Die Information stammte aus Bad Godesberg und war zuverlässig. Ferner teilte General Chimkassy nicht ohne Genugtuung mit, daß Marschall Malinowskij getobt und Karpuschin vor allen anderen Offizieren eine leere Flasche genannt habe.
Karpuschin überwand diese Beleidigung nur mit Hilfe von Wodka. Nicht daß er zum Säufer wurde, das entsprach nicht seinem Wesen, nein, er soff drei Tage lang und kam dann zu der Erkenntnis, daß man in Moskau gut meckern konnte, aber auch keinen Weg wußte, die Infiltration von Spionen zu verhindern.
Mit anderen Worten: Karpuschin schaffte sich ein dickes Fell an und wartete auf die großen Helfer der Spionageabwehr: auf den Zufall – oder auf den Verrat!
War es das sibirische Klima oder wurde Karpuschin wirklich alt? Zum erstenmal verließ ihn sein schon legendäres Vorgefühl für kommende Ereignisse, als der Kommandant von Norilsk von dem seltsamen Geologen berichtete, der jeden Stein abklopfte.
Karpuschin lachte sogar und sagte: »Die Welt wäre ärmer ohne Idioten, Oberst! An ihnen orientieren sich die Klugen!«
Aber dann wurde er ernst. »Am ersten August geht es los, Genossen!« sagte der Generalmajor Karpuschin als Abschluß der Sondersitzung der sibirischen Standortkommandanten. »Plan VI – Wostok A tritt in Kraft. Am dreißigsten Juli ist Oleneksskaja Kultbasa von der II. und der VI. nordsibirischen Division abgeriegelt, und keine Maus schlüpft mehr durch den Absperrring! Keine Maus! Keine Wanze, Genossen!« schrie Karpuschin.
Am ersten August, mit der Maschine 109 für Spezialisten, landete Major Bradcock, der sich jetzt Fjodor Borodinowitsch Awdej nannte, in Oleneksskaja Kultbasa. Man wies ihm das Haus Nr. 19 in der Frunsestraße zu. Diese Zuweisung war ein typischer Witz der Bürokratie, die nun auch in Sibirien zu arbeiten begann, denn das Haus Nr. 19 war erst halb fertig. Zimmerleute hämmerten noch die Dachbalken zurecht, als Awdej mit seinem Koffer erschien und einziehen wollte.
»Das ist ja eine schöne Schweinerei!« schrie Bradcock und warf den Koffer auf einen Sandhaufen, der mitten im Wohnzimmer lag. »Wer hat hier sein Soll wieder nicht erfüllt?«
»Brüderchen, leck uns am Arsch!« schrie vom Dach der Zimmermann-Vorarbeiter zurück. »Ohne Nägel halten keine Balken! Oder spuckst du sie fest, he? Aber die Nägel kamen erst im April! Frage beim Magazin nach!«
»April! Jetzt ist der erste August! Man wird in drei Monaten doch ein Dach fertigbekommen!«
»Er kann rechnen, das Jungchen!« sagte der Zimmermann-Vorarbeiter und legte seinen Hammer hin. »Wahrhaftig, drei Monate! Und wir – nur unsere Kolonne – haben in dieser Zeit einhundertzwölf Dächer gerichtet. Das vierfache Soll! Zum Teufel mit dir, noch ein Wort und ich schlage dir das Hirn ein!«
Bradcock setzte sich auf seinen Koffer und blickte um sich. Man muß Geduld haben, dachte er. Vielleicht kann man zu einem Kollegen von den Radartechnikern ziehen? Auf jeden Fall hatte man jetzt Zeit, viel Zeit. Man war im Herzen Rußlands und schwamm in seinem Pulsschlag mit.
In diesem Augenblick knackte es irgendwo. Von oben, vom offenen Dach, erscholl ein Schrei.
»Weg, du Idiot!« brüllte jemand … dann krachte es auch schon, ein Balken fiel herab, streifte Bradcocks Schulter, warf ihn in den Sandhaufen und schlug auf seiner linken Hand auf. Es war ihm, als fahre ein Zug über seinen Handrücken und zermalmte ihn. Der Schmerz betäubte ihn fast, aber er besaß noch die Kraft, sich zur Seite zu rollen und die Beine anzuziehen. So stürzte das Ende des Balkens nicht auf seinen Kopf und seine Beine, sondern in den Sand.
»Bist du verletzt, Genosse?« schrie der Zimmermann-Vorarbeiter vom Dach. »Teufel noch mal, steh auf, wenn du heile Knochen hast!«
Bradcock erhob sich. Er wickelte einen herumliegenden Sack um seine gequetschte Linke und hielt sie mit der rechten Hand fest. Der wahnsinnige Schmerz ließ ihn hin und her schwanken.
»Nur die Hand!« hörte er eine Stimme über sich. »Sei fröhlich, Genosse! Es hätte schlimmer kommen können …«
Eine halbe Stunde später traf Ludmilla Semjonowa bei dem Verletzten ein. Man hatte ihn in ein fertiges Nebenhaus getragen, wo bereits
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