Liebesnächte in der Taiga
ein Offizier, ein Oberleutnant, eingezogen war. Mit Wodka war Bradcock gestärkt worden, nun kam der Arzt, um zu entscheiden, ob er stationär behandelt werden müsse.
Es war, als ob sich selbst die Natur mit Grausen oder Mitleid abwandte. Denn draußen begann es zu regnen, ein Regen, als ob die Wolken aufbrächen, als Ludmilla ahnungslos sagte:
»Sie müssen ins Krankenhaus, Genosse Awdej. Das kann nur die Genossin Ärztin behandeln. Ich nehme Sie gleich mit, wenn es Ihnen recht ist.«
Bradcock nickte.
Und der sowjetische Oberleutnant half ihm in den Mantel, der im Kragen das Schildchen des Moskauer Kaufhauses GUM trug.
Das Schicksal nahm seinen erbarmungslosen Lauf …
10
Mit der Ankunft von Technikern, Arbeitern, Wissenschaftlern, Spezialisten, politischen Kommissaren, Offizieren und Soldaten einer Spezialtruppe, die sich geheimnisvoll ›Brigade des Fortschritts‹ nannte, wurde von einer Stunde zur anderen das Krankenhaus Katharina Kirstaskajas zu klein. Man hatte beim Bau dieses schönsten Hauses von Oleneksskaja Kultbasa einen Zuwachs von 100 Prozent berechnet und es danach gebaut. Was aber jetzt in die neue Stadt zwischen Taiga und Tundra strömte, was jede Minute aus den ankommenden Transportflugzeugen kletterte, überstieg bei weitem alle Planungen am grünen Tisch.
Zunächst stellten sich sechs neue Ärzte vor, die aus Norilsk, dem großen Sammellager, an den Olenek geflogen waren. Die Kirstaskaja schüttelte nur den Kopf, als die sechs nacheinander, in Abständen von jeweils einer Stunde, so wie sie gelandet waren, bei ihr aufmarschierten und sie mit einem fröhlichen: »Guten Tag, Genossin! Hier sind wir!« begrüßten.
»Das sehe ich!« antwortete die Kirstaskaja wütend. »Wenn die Genossen Kollegen im Keller schlafen wollen …«
»Das Haus hat doch genug Zimmer, Genossin!« sagte einer der Ärzte, ein Mann aus Tiflis, mit schwarzen, feurigen Augen und einem fröhlichen, pechschwarzen Bärtchen unter der Nase.
»Für die Kranken! Ich bin hier mit einem Arzt, einer Assistentin und vier Helferinnen voll belegt.«
»Dann legen wir uns einfach zu den Helferinnen!« sagte der Kaukasier fröhlich. »Man wird sich an alles gewöhnen, Genossin.«
»Das hier ist ein Krankenhaus, kein Bordell!« Die Kirstaskaja wandte sich abrupt ab und ließ die Ärzte stehen.
In dieses Durcheinander kam Ludmilla Semjonowa und brachte Major James Bradcock mit, der jetzt Awdej hieß. Man sah es dem guten Kerl an, wie groß seine Schmerzen waren. Er war blaß, seine Augen blickten starr.
»Wer ist denn das?« fragte die Kirstaskaja, die gerade einen Furunkel untersuchte, mit Jod bestrich und ihn aufspalten wollte, da er reif war wie eine Wassermelone. Bradcock grinste sie an, hob seine mit einem Notverband umwickelte gequetschte Hand und blinzelte ihr zu.
»Ein Zimmermann war so nett, mir einen Balken auf die Hand zu werfen. Höfliche Menschen hier, das muß man sagen. Die Begrüßung ist etwas derb, aber man vergißt sie nicht.«
Die Kirstaskaja legte das Skalpell zur Seite und musterte Bradcock. Ihr Instinkt sagte ihr, daß er anders war als die Männer, die bisher durch ihren OP gegangen waren. Selbst die sechs neuen Ärzte waren durchschnittliche Männer. Hier aber spürte sie eine Welle von Sympathie, die von ihr zu ihm und offensichtlich auch von ihm zu ihr floß.
»Wer sind sie, Genosse?« fragte sie.
»Fjodor Borodinowitsch Awdej. Geologe aus Moskau. Ich sammle Steinchen wie die armen Bauern Schafsmist.« Bradcock lehnte sich gegen die Wand. Der Schmerz in seiner Hand warf ihn fast um. »Freunde nennen mich Fjojo …«
»Interessant. Ich werde Sie nie Fjojo nennen …«
Bradcock lächelte über diese Unlogik und wünschte sich ein Bett. Die gequetschte Hand, die Nervenanspannung, nun endlich am Ziel zu sein, mitzuerleben aus nächster Nähe, als Handlanger sogar, wie Rußland eine neue Atomstadt aufbaut, um Amerikas Führung auf diesem Gebiet zu übertrumpfen – das alles verdichtete sich jetzt zu einer bleiernen Müdigkeit und einer großen Sehnsucht, sich hinzulegen und nichts mehr zu erwarten als einen langen, langen Schlaf.
»Zeigen Sie her, Awdej.« Die Kirstaskaja wickelte den Notverband ab, und während Ludmilla die Hand festhielt, untersuchte die Ärztin die Quetschung. »Gebrochen ist nichts. Sie bekommen einen elastischen Verband, halten die Hand still und warten ab.«
»Eine besonders einprägsame und auf höchstem wissenschaftlichem Stand stehende Therapie!« sagte Bradcock höflich.
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