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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Kirstaskaja bekam kleine, böse Augen. Ihre Stimme wurde noch dunkler, als sie von Natur aus war.
    »Wenn es Ihnen nicht paßt, Genosse, so fahren Sie zurück nach Norilsk. Dort gibt es vielleicht bessere Ärzte!«
    »Im Gegenteil.« Bradcock setzte sich auf einen Stuhl. Ludmilla legte die Binde an, nachdem sie eine Salbe über die gerötete, brennende Hand gestrichen hatte. Die Salbe kühlte köstlich und erfrischte sogar sein müdes Gehirn. »Ein Heilungsvorgang ist zum großen Teil auch ein psychischer Prozeß. Wenn das Auge sich erfreut, das Herz sich weitet und glüht, dann strömen die heilenden Säfte durch den Körper. Ist es nicht so, Genossin? Die Seele muß mitsprechen …«
    Katharina Kirstaskaja zog die Augenbrauen zusammen. Ihr Gesicht hatte einen harten Zug bekommen, fast männlich sah es aus.
    »Sind alle Geologen so wie Sie?« fragte sie. »Ich nehme an, in Ermangelung von Menschen reden Sie mit den Steinen! Merken Sie sich: Ich bin kein Stein.«
    »O Genossin, das will ich hoffen!« sagte Bradcock und grinste wieder breit. Die Kirstaskaja wandte sich ab, ging zu dem Mann mit dem Furunkel, nahm das Skalpell und spaltete das gelbrote Geschwür. Ein Strom von Eiter und Blut floß in die unter den Furunkel gehaltene Schale aus emailliertem Blech. Der Patient, ein bärtiger Montagearbeiter, stöhnte auf, hieb mit der Faust stumm auf das Metallgestänge des OP-Tisches und knirschte dann mit den Zähnen.
    »Hier gibt es keine Lokalanästhesie, nicht wahr, Genossin?« fragte Bradcock.
    »Nein!« Die Kirstaskaja hielt mit einer Pinzette den Schnitt offen und achtete nicht auf das Zähneknirschen des Mannes. »Sibirien braucht harte Männer, Fjodor Borodinowitsch. Wer bei einem Furunkelchen zusammenbricht, soll zurück unter Mamuschkas Schürze kriechen. Man verlangt hier mehr als Süßholzraspeln und dumme Reden!«
    »Das ist wahrhaftig wahr!« pflichtete Bradcock bei. »Man wird's sich merken müssen. Wo ist mein Bett?«
    »Welches Bett?«
    »Wo Mamuschkas Söhnchen träumen kann …«
    »Zimmer neun!« schrie die Kirstaskaja. »Aber da liegen noch fünf!«
    »Nur ein Bett, Genossin. Und wenn zwanzig drum herumliegen …«
    »Kommen Sie«, sagte Ludmilla und faßte Bradcock am Arm. »Sie können wegen Ihrer Hand nicht den ganzen Betrieb aufhalten.«
    »Das sehe ich ein.«
    Als sie aus dem OP hinausgingen, sah ihnen die Kirstaskaja versonnen nach.
    Was ist das für ein Mann, dachte sie, und ihre Augen waren dunkelblau und glänzend. Warum ist er so anders als die anderen? Was ist es bloß, was ihn unterscheidet? Ein Russe ist er, spricht Moskauer Dialekt, und doch ist er so völlig unrussisch. Ein rätselhafter Mensch, dieser Awdej. Ob es der ständige Umgang mit Steinen macht, der einen Menschen verändert?
    An diesem Tag geschah noch vieles, was die bisherige Ordnung des Krankenhauses störte.
    Die sechs Ärzte richteten sich ein. Sie zogen in den für Feiern gedachten Krankenhaussaal, eine Art Mehrzweckraum, denn auch Billards standen darin, zwei Schachbretter, ein Grammophon, ein Radio und ein Spielautomat. Mit ihm konnte man einen blitzschnell durch einen Lärchenwald rennenden Hirsch erschießen. Preis für den Sieger: zehn Kopeken.
    Das alles wurde weggeräumt, in eine Ecke geschoben. Dann stellte man die Betten auf und schlug Nägel in die Wände, woran man die Kleidung aufhing. Nach einer Stunde sah die ›Aula‹, wie die Kirstaskaja den Saal vornehm nannte, wie ein Militärlager aus; es roch nach Schweiß, Leder und nassen Kleidern.
    »Es hat keinen Sinn, sich zu beschweren«, sagte Katharina Kirstaskaja, als Ludmilla das Ungeheuerliche mitteilte. »Wo Männer auftreten, hinterlassen sie Chaos.«
    Und wieder dachte sie an Fjodor Borodinowitsch Awdej, aber sie nannte ihn in Gedanken nur Fjojo.
    Von diesem Tag an begann auch für Semjonow wieder eine Zeit des Sichverbergens. Er blieb auf seinem Zimmer, stand hinter der Gardine und sah auf die Straße, über die jetzt nicht abreißende Schlangen von Transportkolonnen rollten. Der Himmel dröhnte von den ungezählten Flugzeugen, und nachts zitterte die Erde und bebten die Wände der Häuser, wenn die schweren Panzer der die Stadt abriegelnden Truppen durch Oleneksskaja Kultbasa rasselten, um am Flugplatz Benzin zu holen.
    Bereits am zweiten Tag, nachdem Generalmajor Karpuschin bei einer Besichtigung der Umgebung in den Sumpfgebieten des Olenek-Ufers von Millionen Mücken überfallen und trotz heftigen Zigarrenrauchens erbärmlich gestochen worden

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