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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Täubchen!« Pluchins Augen wurden weich und merkwürdig blau. »Glaubt weiter an den Menschen wie ich«, sagte er rauh. »Ich weiß, es ist ein dummer Glaube, nur Idioten können so denken … aber was wären wir ohne diesen Halt?«
    »Und Gott?«
    »Gott? Gott hat versagt, als er den Menschen schuf! Soll man ihn dafür loben?« Dr. Pluchin wandte sich ab und ging.
    »Boris Antonowitsch!« Semjonow sprang noch einmal aus dem Wagen und lief dem Arzt nach. Er holte ihn vor der Faktorei ein und riß ihn an den Schultern herum. »Sie haben ebensowenig auf dieser Welt wie wir. Sie sind der Einsamste unter den Einsamen. Kommen Sie mit …«
    »Verrückt, mein Söhnchen.« Dr. Pluchin schob Semjonows Hand weg. »Ich habe meine Kranken. Meine wilden Kerle aus dem Holzlager. Von fünfhundert haben zweihundert die Syphilis; sie huren wie die Karnickelböcke und werfen sich auf alles, was Röcke trägt. Und die Unfälle! Voriges Jahr hatte ich neunzehn Blinddärme. Weißt du, wo ich sie operiere? Im Schuppen, Söhnchen. Über zwei Holzböcke lege ich gescheuerte Bretter, spritze die Körper mit Karbol ein und schneide die Würmchen aus dem Bauch. Nicht einer hat bisher eine Sepsis bekommen, nicht einer! Siehst du, und darum bleibe ich. Ich kann helfen. Das ist mehr, als selbst zufrieden zu sein …«
    An der Ausfahrt hupte Borja. Semjonow zuckte zusammen. Die letzte Minute eines Abschieds für immer.
    »Boris Antonowitsch«, sagte er heiser, »wenn ich mich wieder stark und mutig fühle, so ist es Ihr Werk, Väterchen.«
    »Dann lauf! Lauf zu deinem Weibchen, mein Söhnchen. Und vergiß nicht Mut und Stärke, du wirst sie brauchen können …«
    Hinter der Seitenwand der Faktorei sah Dr. Pluchin zu, wie der Lastwagen anfuhr, wie Semjonow unter die Plane kletterte und von Ludmilla hochgezogen wurde, als er gegen die Ladeklappe sprang und sich emporstemmte.
    Dann, als die Wagenkolonne im Wald verschwunden war, ging er in den Schankraum, schob einen der Jakutenjäger zur Seite, klopfte mit der flachen Hand auf die Theke und sagte: »Iwan Lukanowitsch, du Rabenaas, gib mir einen Wodka. Aber einen guten, oder ich spritze dir nächstens Salzsäure in die Adern …«
    An diesem Tag kam Dr. Pluchin nicht mehr zurück nach Mulatschka. Auf dem Speicher der Faktorei, auf einem Strohsack, schlief er seinen Rausch aus.
    Freunde, es ist wirklich verdammt schwer, hart zu sein, vor allem hart gegen sich selbst …
    Die Ärztin Katharina Kirstaskaja war ein hübsches blondhaariges Weibchen von siebenundzwanzig Jahren mit stämmigen Beinen, einem runden Hinterteil, wohlgeformtem Brustkorb und einem roten Mund, den Kenner vielleicht sinnlich genannt hätten. Aber wer ist schon nördlich des nördlichen Polarkreises ein Kenner in solchen Dingen?
    Sie war nach Oleneksskaja Kultbasa abgeordnet worden. Nach ihrem Ärtzeexamen in Irkutsk arbeitete sie erst drei Jahre in der staatlichen Klinik. Dann hatte jemand die wahnwitzige Idee, am Olenek eine neue Stadt entstehen zu lassen. Die Stadt wurde gebaut, mit einem kleinen Krankenhaus sogar, in dem es zur Verblüffung aller einen Operationssaal gab mit Wänden aus weißem Ölanstrich und einem gekachelten Fußboden. Der Stadtsowjet von Oleneksskaja Kultbasa konnte sich daran nicht satt sehen, zumal er selbst noch in einer miesen Steinbaracke wohnte. »Krank müßte man sein«, sagte er ehrlich, »und sich in dieses Haus legen. Statt dessen bringe ich die Hälfte der Nächte damit zu, Wasserratten in meinen Zimmern zu jagen! Kultivieren und Pionierarbeit leisten ist eine große Sache, Genossin Kirstaskaja, man dient dem Fortschritt und nützt der Nation – aber ein bißchen eigene Bequemlichkeit ist doch ein menschlich verständlicher Wunsch.«
    Für Katharina Kirstaskaja bedeutete die neue Stadt Olenek nur einen Abschnitt ihres Lebensweges. Sie hatte bei der Universität Irkutsk eine Bewerbung eingereicht mit einer wissenschaftlichen Arbeit über eine Viruserkrankung, die im Frühjahr die Kinder der nördlichen Gebiete befällt. Man sieht daraus, welch kluges Weibchen die Kirstaskaja war und wie ehrgeizig sie sein konnte. Nun wartete sie schon drei Jahre auf eine Antwort vom Baikalsee.
    Nach zwei Wochen Fahrt erreichte die Wagenkolonne Borjas die neue Stadt Oleneksskaja Kultbasa. Der Drohung Dr. Pluchins eingedenk, fuhr er mit seinem Wagen zuerst zum Krankenhaus und holte die Kirstaskaja aus dem Behandlungszimmer, wo sie gerade einem Mädchen die Wirbelsäule massierte.
    »Von Pluchin?« fragte

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