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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war, kreisten Hubschrauber über den Sümpfen und sprühten Giftpulver über die Mückengebiete.
    Die ersten Vergifteten wurden bei der Kirstaskaja eingeliefert. Fischer, die während des Bestäubens der Luft gerade im Schilfrohr ihre Reusen leerten, und Jäger, die in Schilfhütten mitten im Sumpf hockten und Sumpfhühner schossen. Sie alle waren mit dem Pulver bestreut worden, und nun saßen sie im Aufnahmeraum des Krankenhauses, mit geschwollenen, geröteten Augen.
    Die sechs Ärzte traten in Aktion. Es lief alles wie am Schnürchen, das muß man ihnen lassen. Die Vergifteten bekamen Calciumspritzen, mußten jeder drei Liter Milch trinken, wurden mit einer Salbe eingerieben und erhielten aus einer Stahlflasche durch einen Trichter aus Plexiglas reinen Sauerstoff in die Lungen gepumpt.
    Erst am dritten Tag sah die Kirstaskaja bei einer Visite Fjodor Borodinowitsch Awdej wieder.
    Ludmilla hatte ihn bisher versorgt, und da er ein Patient wie alle anderen war, hatte sie mit Semjonow nicht darüber gesprochen. Auf demselben Flur wohnten sie, nur vier Zimmer voneinander entfernt. Ein paar dünne Wände trennten sie, und wenn Semjonow nachts über den Flur zum Bad ging und er kam an Bradcocks Zimmer vorbei, hörte er manchmal Geräusche, ohne zu wissen, wer dort im Bett saß und sich die Nase putzte.
    So gemein und hinterhältig war das Schicksal!
    Man denke nicht, Semjonow hätte nun auf der faulen Haut gelegen oder seinen Tag damit verbracht, hinter der Gardine zu stehen und die Autos zu zählen, die vor ihm über die Straße rollten. Solange Karpuschin in der Stadt war, konnte er nicht ausgehen, aber die Kirstaskaja hatte ihm eine schöne Arbeit gegeben, die bisher nur mangelhaft getan worden war: Semjonow führte die Krankenhauskartei. Von jedem Patienten wurde ein Blatt angelegt; alles, was mit ihm geschah, wurde darauf eingetragen; wenn er gestorben war, kam seine Karte in einen besonderen Kasten. So lebte er – medizinisch gesehen – weiter. Eine schöne Sache.
    Auch den Namen Fjodor Borodinowitsch Awdej schrieb Semjonow mit der Schreibmaschine auf eine Karteikarte. Quetschung des linken Mittelhandknochens. Stationär. Zimmer neun. Unfall. Dann steckte er die Karteikarte zu den anderen in den Kasten und dachte nicht weiter an diesen Awdej.
    Für Major Bradcock waren die Tage im Krankenhaus verlorene Tage. Aber wie konnte er es ändern? Die Hand mußte erst geheilt werden, und sein ihm zugewiesenes Haus war noch nicht fertig. Solange die Transportkolonnen noch rollten und das Material erst heranschafften, war nicht mehr zu entdecken als Kisten und Eisenträger, Fertigbauteile von ganzen Wänden und mit Planen überdeckte, auseinandergenommene Abschußrampen und Meßgeräte. Aber das konnte sich ändern von einem Tag zum anderen, vor allem aber konnten die Kontakte schwerer werden, die jetzt, bei dem allgemeinen Durcheinander von Technikern, Soldaten und Monteuren, durch eine einzige Zigarette zu knüpfen waren.
    So war es Bradcock eine doppelte Freude, daß statt der stillen, schönen und in guter Hoffnung lebenden Ludmilla an diesem Abend die Kirstaskaja selbst im Zimmer erschien und seine Hand begutachtete. In den vergangenen drei Tagen war Zimmer neun langsam, aber stetig geräumt worden. Die fünf Zimmergenossen hatte man entweder entlassen oder in andere Räume verlegt. Verschiedene Abteilungen wurden eingerichtet, wie Chirurgische Abteilung, Innere Abteilung, Frauenabteilung, Kinderklinik und Infektionsstation. Jeder der sechs neuen Ärzte übernahm eine Station; die Kirstaskaja behielt die Oberleitung und wurde mit ›Genossin Chefarzt‹ angeredet.
    Zimmer neun war also leer bis auf Bradcock, der gelangweilt in seinem Bett lag, eine alte Prawda las und rauchte.
    »Der Himmel segne deinen Eingang, Mütterchen!« sagte er, als Katharina Kirstaskaja eintrat. Er bemerkte ihr Zusammenzucken und freute sich darüber.
    »Etwas Dümmeres fällt Ihnen wohl nicht ein?« Die Kirstaskaja setzte sich auf die Bettkante und hob seine Hand hoch. »Schmerzen?«
    »Ein wenig. Es zuckt in der Hand. Aber noch schlimmer zuckt mein Herz, wenn ich Sie sehe, Katharina.«
    »Kein Fieber.« Die Ärztin betrachtete die Fieberkurve, die Ludmilla jeden Morgen und jeden Abend gewissenhaft eintrug. »Normaler Stuhlgang?«
    »Ich habe die Hand gequetscht, Mütterchen, nicht den Darm.«
    »Warum nennen Sie mich eigentlich Mütterchen?« Die dunkle Stimme Katharinas bebte leise. »Sehe ich so alt aus?«
    »Ich würde es nie wagen,

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