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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dieser Sekunde nicht anders. Auch er erstarrte, sein Herzschlag setzte aus, er spürte Atemnot und eine plötzliche, unerklärliche Angst.
    »Franz …«, sagte er heiser.
    Dann standen sie sich gegenüber, zwei Meter getrennt, zwei gute Freunde und zwei gegensätzliche Welten. Jeder wußte, daß Sibirien, daß die kleine, unbekannte Taigastadt Oleneksskaja Kultbasa die Endstation ihres Lebens war.
    »Ich kann dich nicht in mein Zimmer mitnehmen«, sagte Semjonow leise. »Ludmilla hat einen leichten Schlaf. Und sie braucht nicht zu wissen, was geschehen ist. Gehen wir zu dir.«
    »In meinem Zimmer schläft Katharina.«
    »Die Kirstaskaja?«
    »Ja.«
    »Liebst du sie?«
    »Sie ist ein Phänomen von Liebe. Sind alle russischen Weiber so?«
    »Für mich ist Ludmilla die ganze Welt.«
    »Ludmilla ist deine Frau?«
    »Ja. Im November bekommen wir ein Kind.«
    Bradcock sah sich um. »Gehen wir ins Bad, Franz«, sagte er. Semjonow nickte. Sie schlossen das Bad hinter sich ab, und Semjonow setzte sich auf den Rand der Wanne, während Bradcock sich auf die Brille der Toilette hockte.
    »Was nun?« fragte Semjonow. »Wie lautet dein Auftrag?«
    »Du kennst ihn.« Bradcock sah an Semjonow vorbei gegen die Kacheln.
    »Und für den Fall, daß du mir begegnest …?«
    »Auch das ist klar, mein Junge.« Bradcock legte die Hände flach auf seine Schenkel. »Ich habe mich innerlich gewehrt, das kannst du mir glauben. Wir sind Freunde gewesen. Mein Gott, was haben wir in Alaska und der Wüste von New Mexico alles zusammen erlebt! Die siamesischen Zwillinge nannte man uns. Weißt du es noch?«
    »Und ob ich das weiß, James.« Semjonow tappte mit den großen Zehen auf den Boden des Badezimmers. »Einmal warst du fast am Ende, einmal ich. Und immer hat der eine den anderen aus der Scheiße gerissen. Jetzt ist es anders … jetzt stehen wir gegeneinander …«
    »Es ist zum Kotzen, Franz!« Bradcock sah Semjonow fast traurig an. »Aber das ändert nicht, daß man dich zur Liquidation freigestellt hat.«
    »Hast du mich an den KGB verraten, James?«
    »Nein. Das erfolgte von der Zentrale aus. Ich habe damals getobt, aber dann ließ ich mich überzeugen. Freund oder Amerikaner … welche Alternative! Man legte mir Berichte vor, die mich erstarren ließen. Eine einzige dieser Raketen, wie sie jetzt hier gebaut werden sollen, kann Boston oder Washington vernichten. Es ist einfach ein Akt der Notwehr, zu wissen, wo diese Abschußbasen sind …« Bradcock schwieg und erhob sich von seinem Toilettensitz. Er stellte sich vor Semjonow und sah auf dessen stoppeligen blonden Schädel hinab.
    »Ja!« sagte Semjonow laut. »Aber ich bin Pawel Konstantinowitsch Semjonow und werde nie mehr etwas anderes sein.«
    »Und deine Heimat?«
    »Ist die Taiga geworden.«
    »Und der Sinn deines Lebens?«
    »Ludmilla und mein Kind.«
    »Verdammter Spinner! Und die Bomben, die hier auf Abschußrampen gebaut werden?«
    »Sie treffen nicht mich.«
    »Aber mich! Und meine Mutter. Und meinen unschuldigen Bruder. Es geht nicht mehr um dich oder mich, sondern um unsere ganze Kultur.«
    »Phrasen! Kultur! Was ist Kultur? Haben die Russen keine Kultur, die sie verlieren könnten? Leben hier nicht auch Frauen und Kinder, Mütter und Väter, die den Frieden wollen?«
    »Und die Raketen da draußen?« schrie Bradcock.
    »Und die Raketen im Westen?« schrie Semjonow zurück. »Die Atlas-Batterien? Die mit Polaris ausgerüsteten Atom-U-Boote? Wer kann hier wem etwas vorwerfen? Der Wahnsinn ist auf beiden Seiten! Ist es da nicht gleich, ob man in Miami oder in Oleneksskaja Kultbasa lebt? Bei uns kreist die taktische Luftflotte, mit Atombomben an Bord, Tag und Nacht unter dem Himmel … für den Frieden wohlgemerkt … Hier wird das Land mit Raketen gespickt wie ein Igel … auch für den Frieden wohlgemerkt … Wem kann man trauen?«
    »Es ist zum Kotzen!« sagte Bradcock und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
    Semjonow nickte mehrmals. Er ging zur Tür, schloß sie auf und winkte mit dem Daumen der rechten Hand.
    »Geh 'raus, James … Ich habe einen fetten Kascha gegessen und muß ihn loswerden.«
    Bradcock lachte. »Wie früher, Junge. Das freut mich! Wie mich das freut! Leer dich aus, und dann reden wir weiter über die Zukunft.«
    »Du bist lange geblieben, Liebster«, sagte Ludmilla, als Semjonow endlich zurückkam. Sie saß im Bett, rauchte eine Papyrossa und trank Mineralwasser aus einem Glas.
    »Ich habe noch gebadet«, sagte Semjonow und zog seine Hose aus.

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