Liebesnaehe
sicher?
– Er starrte mich sehr intensiv an, und er wurde verlegen, als ich zurückstarrte. Er stand auf und verschwand, als fühlte er sich ertappt.
– Ertappt? Wobei ertappt?
– Na, ich habe das Gefühl, er ist hinter mir her, er verfolgt mich, er hat irgendwas mit mir vor.
Katharina lacht laut auf.
– Johannes verfolgt Dich? Aber nein, das ist nicht Dein Ernst! Johannes verfolgt niemanden, Johannes ist auch
hinter niemandem her, nein, ganz bestimmt nicht. Er sendet kleine Botschaften, das ist es, er sendet ein paar unauffällige Signale, mehr würde er niemals tun. Es ist ein Spiel, oder vielleicht hat es auch mit seiner Arbeit und seinen Projekten zu tun, das könnte sein, ich weiß es nicht. Auf keinen Fall aber ist er ein Voyeur oder jemand, der es auf Dich abgesehen hat.
Jule sammelt die Fotos und die beiden Zettel wieder ein und steckt sie zurück in ihre Umhängetasche.
– Verrätst Du mir wenigstens, welchen Beruf er hat? fragt sie.
– Auch darüber möchte ich lieber nicht sprechen, antwortet Katharina.
– Er hat keinen der gängigen Berufe, habe ich recht?
– Stimmt, sagt Katharina, das hast Du schon gut erkannt. Und was hast Du noch weiter über ihn herausbekommen, sag schon, ich behalte es für mich, das weißt Du, mit mir kannst Du doch darüber sprechen.
– Ich vermute, dass er eine Art Forscher ist, ja, er ist vielleicht so etwas wie ein ruhiger, geduldiger Forscher mit irgendwelchen Langzeitprojekten. Er macht einen so ausgeglichenen Eindruck, als verfolgte er bestimmte Sachen mit Hingabe.
– Er gefällt Dir, stimmt’s?
– Das kann ich noch nicht eindeutig sagen. Mir gefallen seine kleinen Signale, wie Du sie nennst, mich erregen diese Signale, und außerdem finde ich es gut, dass er sich nicht aufdrängt. Ich vermute, er ist ein stiller, konzentrierter, viel mit sich selbst beschäftigter Mensch, der seinen Passionen nachgeht.
– Ja, das ist er, aber mehr, Jule, sage ich nicht mehr dazu. Was hast Du denn jetzt vor?
– Ich werde ein wenig spazieren gehen.
– Du wirst ein wenig spazieren gehen?!
– Ja, mein Gott, was ist daran so seltsam?
– Nichts, gar nichts. Ich wundere mich nur ein wenig über dies und das.
– Du wunderst Dich, aber Du verrätst nicht, worüber, habe ich recht?
– Ja, ich werde nichts mehr verraten, ich werde schweigen, das ist das Beste.
– Ich habe aber noch eine Bitte. Du hast doch bestimmt seine Handy-Nummer.
– Du möchtest mit Johannes telefonieren?
– Ich möchte die Nummer.
– Jule, ich muss Dich warnen, er telefoniert nicht gern.
– Ich will nicht mit ihm telefonieren, ich will die Nummer, um ihm ebenfalls ein paar kleine Signale zu schicken, verstehst Du?
Katharina schweigt einen Moment, dann geht sie quer durch ihren Raum, während sie einige der kleinen Bücherstapel auf dem ovalen Tisch zurechtrückt. Jule beobachtet sie genau, Katharina denkt nach, ja, sie überlegt, ob sie die Handy-Nummer preisgeben soll.
– In Ordnung, sagt sie schließlich, ich gebe Dir die Nummer.
– Danke, sagt Jule, und hab keine Sorge, ich nutze Dein Vertrauen nicht aus.
Katharina geht zurück in die Nähe der Kasse. Sie öffnet eine Schublade und holt eine schwarze Kladde heraus.
Sie öffnet das kleine Heft und durchblättert einige Seiten, dann schreibt sie die Handy-Nummer auf einen Notizzettel und reicht ihn Jule.
– Wohin wirst Du gehen?
– Ich weiß es noch nicht, antwortet Jule, ich gehe einfach drauflos.
– Hier, nimm das mit, nimm dieses Buch mit, sagt Katharina und geht zu einem Regal, zieht ein schmales Bändchen heraus und schaut kurz auf den Umschlag.
– »Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland«, das ist der Titel, ich finde, das passt, sagt Katharina.
Jule lacht, dann steckt sie das Buch in ihre Tasche und verlässt die Buchhandlung. Sie geht weiter, durch das Foyer, und dann hinaus aus dem Hotel. Zur Rechten führt ein mit grauem Schotter bedeckter Weg in die nahen Wälder. Sie bleibt einen Moment stehen, zieht die Lederjacke über, knöpft sie vorne zu und geht los.
Johannes Kirchner … Irgendwo hat sie den Namen schon einmal gehört. Es wäre ganz einfach, diesen Namen in eine Suchmaschine einzugeben und dann bald ein Ergebnis zu haben, so einfach möchte sie es sich aber nicht machen. Sie will keine voreiligen Vorstellungen wecken oder entwickeln, sondern sich nur auf ihre Beobachtungen verlassen. Seltsam ist jedenfalls, dass er aus genau denselben Gründen hier ist wie sie: Er arbeitet anscheinend an
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