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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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und es gefällt ihm noch mehr, als fast alle Mittagsgäste verschwunden sind. Er mag nicht gern allein unter vielen Menschen sitzen, er fühlt sich
in solchen Fällen nicht wohl, außerdem möchte er nicht hören, was sie während ihrer Mahlzeiten reden, so etwas stört ihn und verdirbt ihm meist den konzentrierten Genuss.

    Der Teller mit dem gegrillten Stockfisch und dem Gemüse steht noch vor ihm, er nimmt ihn sich noch einmal vor. Die Speisen sind zwar längst kalt geworden, aber das macht nichts, kalt schmecken sie sogar noch besser und intensiver als warm. Wer denkt über so etwas einmal genauer nach? Dass manche Speisen überhaupt nicht warm oder gar heiß gegessen werden sollten und dass sie, wenn man sie einen Tag irgendwo lagert, am zweiten Tag noch besser schmecken?

    Er macht sich über solche Dinge oft Gedanken, schließlich gehören die Mahlzeiten doch zu den großen Freuden des Tages, über deren Gestaltung man wahrhaftig sehr genau nachdenken sollte. Die meisten Menschen, denen er begegnet ist, tun das aber zu seinem Erstaunen nicht, stattdessen unterhalten sie sich über Diäten oder Kalorien oder über die Erfolgsgeschichten bestimmter Köche. Solche Themen interessieren ihn nun aber wiederum überhaupt nicht, ihn interessiert einzig und allein die jeweilige Mahlzeit mit ihren Zutaten, frisch sollten sie sein, vom Markt sollten sie kommen, zur Jahreszeit sollten sie passen. Gut und schmackhaft zu kochen, ist dann gar nicht schwer, man muss nur etwas Grundwissen über die einfachsten Zubereitungsarten wie Kochen, Garen, Schmoren oder Backen besitzen.

    Mit Katharina kann er über so etwas sprechen, ja, das bereitet ihnen beiden Vergnügen, sonst aber kennt er niemanden, der bei solchen Themen aufhorcht und genug exakte Phantasie hat, um über die Verbesserung bestimmter Speisen nachzudenken. Dem gegrillten Stockfisch und dem Gemüse hier fehlt es zum Beispiel an Chili, zwei kleine Schoten hätten aus diesem laschen, fast geschmacklosen Gericht noch etwas herausholen können. Jetzt aber ist es zu spät, er kann höchstens noch etwas nachpfeffern, und außerdem sollte er zu diesem Gericht noch ein kleines Glas Weißwein bestellen, ja, das ist er dem Fisch einfach schuldig.

    Er isst langsam und schaut manchmal zu den nahen Bergspitzen, bis zu diesen Höhen wird er nicht hinaufwandern, nein, auf keinen Fall, er ist kein Bergsteiger und noch nicht einmal ein Bergwanderer, sondern eher ein Spaziergänger. Der Reiz seiner Spaziergänge besteht genau darin, sich allmählich von den Tälern zu entfernen und doch zu ihnen Kontakt zu behalten. Etwa in der Mitte zwischen Tälern und Gipfeln zu gehen, das mag er, ganz hinauf, bis zu den Spitzen, zieht ihn dagegen nichts. Mit solchen Besteigungen wären lauter starke sportliche Anstrengungen verbunden, die von der Wahrnehmung der Naturschönheiten nur ablenken, was, um Himmels willen, sollte ihn also dazu veranlassen, ächzend und schweißüberströmt steil bergauf über Pfade zwischen allerhand Felsgerümpel zu stolpern? Das Thema Bergsteigen ist mit dem Thema Kochen gut zu vergleichen, auch in diesem Fall geht es darum, den einfachen, natürlichen Genuss an den Dingen immer im Auge zu behalten.

    Schließlich bestellt er sich noch einen starken Kaffee, er fühlt sich jetzt frisch und aufnahmefähig, ja, die Lust auf seinen Spaziergang wächst von Minute zu Minute. Er rückt seinen Stuhl etwas zurück und schaut kurz auf sein Handy, ah, es gibt eine Nachricht. »the artist is present«, liest er erstaunt und ungläubig, die Nachricht besteht nur aus diesen vier Worten, und sie wurde von einer Nummer verschickt, die er nicht kennt, aber sofort speichert.

    Er hat jedoch einen Verdacht, ja, er vermutet sofort, dass Jule Danner ihm diese Nachricht geschickt hat. Er hat diesen Text auch schon einmal gelesen, ja, bestimmt, dieser Text ist wohl ein bekanntes Zitat, man könnte ihn allerdings auch auf die Absenderin selbst beziehen, dann würde das Ganze ihm signalisieren, dass Jule Danner einerseits von Beruf eine Künstlerin und andererseits nicht abgeneigt ist, das Spiel der kurzen Botschaften und Signale fortzusetzen. Vielleicht enthält diese Nachricht sogar noch einen eindeutigeren Hinweis oder eine Einladung, ja, das könnte auch sein, so etwas lässt sich aber erst klären, wenn er herausbekommen hat, in welchem Zusammenhang ihm diese vier Wörter schon einmal begegnet sind.

    Nein, so kommt er nicht weiter, es freut ihn aber, von ihr eine Nachricht erhalten zu

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