Liebesnaehe
aber noch nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung das Ganze sich entwickeln könnte.
Vielleicht fällt ihr während eines Spaziergangs etwas ein, ja, sie hofft auf diesen Gang, allein, weg von den Schauplätzen dieses Hotels. Normalerweise wäre sie jetzt in dem hoch oben auf dem Dach des Hotels gelegenen Pool schwimmen gegangen, von dort oben hat man eine weite Aussicht über das nahe Land, und meist riecht es zu dieser Jahreszeit ein wenig nach Rauch und den verstreut in der Nähe glimmenden Feuern. Sie mag diesen Geruch besonders, sie mag das Beizige, Rauchige, sie mag diese Herbststimmungen, der Herbst ist ihre liebste Jahreszeit, konkurrenzlos.
Sie benutzt nicht den Lift, sondern läuft rasch die Stufen des Treppenhauses hinunter, biegt kurz vor dem Foyer ab und geht vor ihrem Aufbruch noch einmal zur Buchhandlung, als sie dort eintrifft, schließt Katharina gerade die Tür auf.
– Du hast Dich verspätet, sagt sie.
– Ich habe mich verplaudert, antwortet Katharina.
– Ah, mit wem hast Du geplaudert?
– Mit einem guten Bekannten.
– Mit einem guten Bekannten? Kenne ich ihn?
– Nein, Du kennst ihn nicht.
– Ich glaube, Du irrst Dich, ich kenne ihn doch, oder besser gesagt, ich kenne ihn bereits ein wenig.
Sie betreten zusammen die Buchhandlung, Katharina schaut sich nach ihr um, deutlich ist zu erkennen, wie überrascht sie ist.
– Na, da bin ich aber gespannt, sagt sie.
Jule legt ihre Lederjacke auf einen Sessel und öffnet ihre Umhängetasche. Sie zieht die Fotos heraus und legt sie dicht nebeneinander, in einer Reihe, auf den ovalen Tisch in der Mitte der Buchhandlung.
– Voilà, sagt sie, schau Dir die Bilder an, ich habe erste, flüchtige Bekanntschaft mit Deinem guten Bekannten gemacht.
Katharina tritt nahe an den Tisch und nimmt die Fotos nacheinander in die Hand. Sie schaut jedes von ihnen eine Weile lang an.
– Verrätst Du mir, wer das ist? fragt Jule.
– Das ist Johannes Kirchner, antwortet Katharina.
– Ihr kennt Euch gut?
– Wie man es nimmt. Jedenfalls kennen wir uns lange, schon seit einigen Jahren. Er war ein regelmäßiger Besucher in meiner Münchener Buchhandlung, hier aber besucht er mich zum ersten Mal.
– Er ist hier, um Dich zu besuchen?
– Nein, natürlich nicht nur. Er arbeitet an einem Projekt, er ist zum Arbeiten hier, und nebenbei besucht er mich, so könnte man sagen.
– An welchem Projekt arbeitet er?
– Das weiß ich nicht. Wir haben noch nicht darüber gesprochen.
– Habt ihr früher in München über seine Projekte gesprochen?
– Ja, das haben wir, da haben wir sogar häufig, und zwar häufig und gründlich, über seine Projekte gesprochen.
– Du bist seine Beraterin?
– Ich versuche, ihm zu helfen, manchmal gelingt es, manchmal kommen wir aber auch keinen Schritt weiter.
– Und um welche Projekte handelt es sich?
Katharina legt die Fotografien wieder zurück auf den Tisch. Sie atmet tief durch und wendet sich Jule zu.
– Jule, sei mir nicht böse, aber ich kann darüber nicht reden. Die Beziehung zwischen Johannes und mir ist ein Vertrauensverhältnis, ich weiß nicht, ob er es gut finden würde, wenn ich einer Außenstehenden von bestimmten Einzelheiten erzähle. Er würde mir Vorwürfe machen, ja, bestimmt, er würde das nicht verstehen.
– Du meinst, ich bin eine Außenstehende?
– Na ja, antwortet Katharina, wie soll ich es sonst nennen? Schließlich kennt ihr euch nicht einmal.
– Wir kennen uns nicht?
– Nein, ich denke, ihr kennt euch nicht. Oder täusche ich mich?
– Ja, Du täuschst Dich, sagt Jule, Du täuschst Dich sogar gewaltig. Schau!
Sie öffnet noch einmal ihre Umhängetasche und nimmt die beiden Zettel-Botschaften heraus, sie legt die kleinen Papiere auf die Fotos, Katharina beugt sich sofort darüber und liest sie, zweimal, dreimal.
– Ah, Du glaubst, dass Johannes diese Botschaften geschrieben hat?
– Natürlich hat er sie geschrieben, antwortet Jule, die Handschrift auf den beiden Zetteln ist identisch. Er hat uns während unserer gemeinsamen Mahlzeit von der Hotelbar aus beobachtet, er hat sogar genau mitbekommen, was wir bestellt haben. Lies doch: Feldsalat …, Stockfisch, er hat es exakt notiert.
– Er hat, während wir gegessen haben, in der Hotelbar gesessen? Woher willst Du das wissen?
– Als Du auf der Toilette warst, habe ich zufällig in die Bar geschaut, er saß an einem Ecktisch, er starrte mich an wie ein Weltwunder.
– Er starrte Dich an? Bist Du ganz
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