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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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während Deiner Kindheit immer wieder gerochen hast. Diesen Duft gab es nur in einem bestimmten Raum Deines Elternhauses, nirgends sonst. Wenn Du
diesen Duft riechst und die Augen schließt, befindest Du Dich sofort wieder in dem entsprechenden Raum. Was wäre das für ein Duft, den Du jetzt suchst?
    – Ich weiß, ich weiß wieder sofort, was ich suchen würde. Ich würde eine bestimmte Seife suchen, und zwar eine Seife der Marke »Rosa Centifolia«. Ein Stück dieser Seife lag immer im Badezimmer meiner Eltern und wurde nur von meiner Mutter benutzt. Mein Vater rührte sie nicht an, und auch ich wagte es nicht, mich damit zu waschen. Ich liebte aber ihren Duft sehr, ich roch häufig an dieser Seife, dieser Duft war der Duft meiner Mutter und damit jener Duft, den ihre Körperbewegungen am frühen Morgen in unserer Wohnung verteilten. Meine Mutter war immer als Erste von uns allen auf, und wenn ich später aufstand und durch unsere Wohnräume ging, roch ich genau, wo sich meine Mutter bereits aufgehalten hatte. Es war so, dass ich …
    – Johannes, erzähl jetzt nicht weiter. Das ist die zweite sehr schöne Geschichte, die ich in wenigen Minuten von Dir höre. Du solltest sie möglichst bald aufschreiben, und ich sage Dir, es wird Dir nicht schwerfallen, und keine Blockade der Welt wird Dir im Weg stehen.
    – Du hast recht, Katharina, natürlich, so könnte es wirklich gehen. Noch ein drittes Experiment, los, noch ein drittes!
    – Also gut, noch ein drittes, letztes Experiment. Du stehst erneut vor der Scheune, öffnest sie und gehst langsam hinein. Du suchst einen geheimnisvollen Gegenstand, den Du nur selten zu Gesicht bekommen hast. Dieser Gegenstand war lange Zeit irgendwo versteckt, und als Du ihn dann zu Gesicht bekommen hast, hat er Dich
beunruhigt, weil von diesem Gegenstand etwas Fremdes, Irritierendes ausging.
    – Ich weiß, ja, ich weiß, was ich suche. Ich suche eine bernsteinfarbene Zigarettenspitze, es ist die Zigarettenspitze meines Vaters, die er als Soldat während des Zweiten Weltkriegs benutzt hat. Später hat er sie nie mehr in die Hand genommen, sie lag in einer Kiste, in der sich ausschließlich Sachen befanden, die er in seiner Soldatenzeit benutzt hatte. Als ich diese Zigarettenspitze entdeckte, habe ich an ihr gezogen und hatte deshalb später einen bitteren, scharfen Geschmack auf der Zunge. Ich habe mir den Mund ausgespült, aber ich bekam den Geschmack nicht weg, ja, ich glaubte sogar, mich übergeben zu müssen. Ich habe die Zigarettenspitze nie mehr angerührt, aber wenn ich mich an sie erinnert habe, war immer dieser seltsame Tabak-Geschmack da, verbunden mit den Erinnerungen an Vater und an seine Soldatenzeit.

    Er hebt das Glas mit der leicht tranigen und klaren Flüssigkeit wieder hoch und hält es gegen das Licht, dann trinkt er es leer. Katharinas Experimente haben in ihm eine unbändige Schreiblust ausgelöst, er spürt richtiggehend, wie es ihn drängt, weiterzuerzählen und diese Erzählungen auch gleich zu notieren.
    – Du hast recht, sagt er, ich sollte das alles möglichst bald aufschreiben. Und ich sollte mich um meine anderen Projekte vorerst nicht kümmern. Sie haben Zeit, sie können warten, aber die Heerscharen in der Scheune – die können nicht länger warten.

    Er ist so unruhig, dass er noch einmal nach dem Kellner winkt und noch einmal zwei Martini bestellt, ohne Katharina zu fragen. Sie schaut ihn die ganze Zeit ruhig an, sagt aber nichts, da sie genau spürt, was in ihm vorgeht. Er hat ein großes Thema und einen gewaltigen Stoff entdeckt, jetzt beginnt dieser Stoff, sich in ihm festzusetzen.

    Um seine Unruhe etwas zu dämpfen, wechselt sie abrupt das Thema und erzählt ihm von ihren eigenen Aufzeichnungen und Notizen. Sie beschreibt, was sie im Einzelnen alles notiert und wie sie mit diesen Notizen umgeht, sie lässt sich viel Zeit für ihre Erklärungen, um ihn auf ein paar andere Gedanken zu bringen und ihm gleichzeitig zu ermöglichen, selbst ein paar Ratschläge zu geben.
    – Ich komme mit meinen Notizen nicht so richtig voran, sagt sie. Ich notiere und notiere, aber ich habe keinen richtigen Eindruck von ihnen, dazu fehlt mir die Distanz.
    – Hast Du sie schon einmal jemand anderem gezeigt? fragt er nach.
    – Nein, antwortet sie, noch niemandem. Einige Freundinnen oder Freunde, die davon wissen, behaupten, ich mache aus dem Ganzen ein Geheimnis, das ist aber gar nicht meine Absicht. Ich bin nur etwas scheu und verlegen, ich habe mit dem Notieren

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