Liebesnaehe
schließlich in einem dunkelroten Kleid erscheint, steht er auf und umarmt sie.
– Es tut mir leid, ich bin etwas spät, sagt sie.
– Das macht nichts, antwortet er, ich habe mich hier auch allein sehr wohlgefühlt.
– Wie hast Du den Tag seit unserem gemeinsamen Essen verbracht?
– Ich habe mich auf einer Wiese hinter dem Gasthof ausgeruht und sogar etwas geschlafen, ich habe dann einen anderen Rückweg genommen und bin auf ein verwunschenes Gartenhaus gestoßen, ich habe im Pool geschwommen, ich habe Klarinette gespielt, und ich habe ein wenig gelesen. Bist Du mit mir zufrieden?
– Sehr, und ich beneide Dich um so einen Nachmittag. Aber sag, welches verwunschene Haus meinst Du?
– Ich meine ein kleines Gartenhaus direkt am Saum des dunklen Fichtenwäldchens, ich hatte es vorher noch gar nicht bemerkt. Kennst Du es nicht?
– Ach, dieses Haus meinst Du, doch das kenne ich. Es gehörte früher dem alten Gärtner. Er ist gestorben, jetzt steht es leer. Bist Du hineingegangen, stand es offen?
– Ja, es stand offen, und ich bin hineingegangen. Von drinnen überblickt man die ganze Gegend, es sind sehr starke Bilder. Ich vermute, dieser kleine, schlichte Raum ist der schönste der ganzen weiten Hotellandschaften.
– Ich kenne ihn nicht gut genug, er ist meist abgeschlossen.
– Du solltest ihn Dir unbedingt einmal anschauen.
– Ja, das werde ich sicher bald tun.
Er schaut sie einen Moment länger an, dann ruft er einen Kellner herbei.
– Ich habe noch nichts bestellt. Was wollen wir trinken? Einen Wein? Einen Cocktail? fragt er.
– Ich finde, in einer Bar wie dieser sollten wir einen Cocktail trinken, Du möchtest doch sicher später noch etwas essen.
– Nein, eigentlich nicht, ich habe keinen großen Hunger, wir haben ja schließlich sehr spät zu Mittag gegessen. Einen Cocktail also, in Ordnung. Dann trinken wir einen Martini, mit Gin und trockenem Vermouth. Einverstanden?
– Einverstanden, wenn Du dafür sorgst, dass man uns die penetrante Olive erspart.
Als der Kellner erscheint, bestellt er zwei Martini ohne Oliven, und als der Kellner nickt und nachfragt, ob sie auch etwas zu essen wünschen, winkt er ab.
– Seltsam, ich habe nicht die geringste Lust, in diesen Pracht-Restaurants zu essen, sagt er, als der Kellner verschwunden ist.
– Und warum nicht? Viele Gäste kommen vor allem deswegen.
– Ja, das mag sein. Ich hätte ja auch Lust, all diese Kostbarkeiten zu probieren, das aber am liebsten zu zweit und nicht in großer Gesellschaft. Ich ertrage es einfach nicht gut, wenn sich zu viele Menschen in einem Raum befinden und sich dann auch noch laufend über das exquisite Essen unterhalten.
– Du kannst Dir das Essen auch aufs Zimmer bringen lassen.
– Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich habe ja noch den morgigen Tag, vielleicht lasse ich mich morgen auf so etwas ein. Aber nur, wenn Du mitmachst, nur, wenn wir beide zusammen essen. Allein esse ich nicht in meinem Zimmer, auf keinen Fall.
– Du wirst nicht allein in Deinem Zimmer essen, Johannes, auf gar keinen Fall.
Er schaut sie wieder etwas länger an, er ist über das, was sie da so bestimmt und entschieden sagt, leicht irritiert.
– Katharina, wovon sprichst Du?
– Warten wir es ab. Ich erzähle nicht alles, was mir gerade durch den Kopf geht, ich bin etwas zurückhaltend, verstehst Du?
– Sollte ich nicht besser wissen, was Du zurückhältst?
– Im Augenblick noch nicht, Johannes, vielleicht bald, vielleicht morgen, warten wir es ab.
– Hast Du über meine Arbeitsprobleme nachgedacht?
– Allerdings, das habe ich, ich habe sogar sehr intensiv darüber nachgedacht.
– Und? Was ist dabei herausgekommen?
– Mir ist zunächst eine Kleinigkeit aufgefallen. Du hast von den Möbeln und Gerätschaften Deiner Eltern erzählt, die Du in einer Scheune deponiert hast. Ich habe Dich gefragt, was aus all diesen Gegenständen werden solle, und Du hast geantwortet, das sei momentan nicht Dein Problem, weil Dich ein anderes , größeres Problem beschäftige, und dieses andere , größere Problem sei Dein Schreibproblem. Erinnerst Du Dich?
– Ja natürlich, ich erinnere mich genau. Aber was ist an dieser Bemerkung so besonders?
– Ich glaube nicht, dass Du ein anderes Problem hast, Johannes, ich glaube, dass die Dinge, die in der Scheune stehen und auf Dich warten, das Problem sind . Genauer gesagt: Das Warten und Herumstehen der Dinge – das ist
das Problem. Du hast für diese Dinge keine Lösung
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