Liebesnöter
antwortete er, aber er kenne sie leider nicht.
Der muss südliches Blut haben, dachte Ella, zu charmant für ein kühles Nordlicht, und sie beugte sich wieder über ihren Stadtplan. Die Stora Nygatan war vielleicht ein guter Anfang, entschied sie, eine der Hauptstraßen in Gamla Stan, denn irgendwie musste sie ja in das Labyrinth aus engen Gassen und schmalen Häusern hineinkommen. Die Galerie schien in einer winzig kleinen Gasse zu sein, denn den Straßennamen hatte Ella auf dem Stadtplan nicht entdecken können, und selbst die präzise Karte auf ihrem Smartphone konnte ihr nicht weiterhelfen.
Sie würde einfach in einer Galerie fragen, sicherlich kannten sich die Galeristen untereinander. Sie bezahlte, gab mehr Trinkgeld als üblich, wurde mit einem strahlenden Lächeln belohnt, fand die Stora Nygatan und lief sie bis zu ihrem Ende durch. Die Straße gab nicht viel her, fand Ella, zumindest nichts Reizvolles. Und schon gar keine Galerie. Sie landete bei den Anlegestellen der Fährschiffe und entschied, jetzt einfach mal in Richtung Deutscher Kirche zu gehen. Die »Tyska Kyrkan« war überall ausgeschildert und offensichtlich zentral in der Altstadt gelegen. Jetzt wurde die Umgebung schöner, die Geschäfte individueller, und vor manchen musste sie sich direkt dazu zwingen vorbeizugehen. Nein, wegen eines Pullovers mit Norwegermuster war sie nicht nach Schweden gereist. Und eine Küchenschürze voller Elche brauchte sie auch nicht. Aber vor einem schmalen, unscheinbaren Geschäft kapitulierte sie. Schon das Schaufenster war so einladend, dass sie nicht die Einzige war, die sehnsüchtige Augen machte. Vielleicht lag es auch an dem unwiderstehlichen Schokoladenduft, der fein würzig durch die Gasse zog, jedenfalls konnte sie das Wort Begehren in großen Lettern über allen Köpfen lesen. Und kaum einer kam dagegen an. Die Mohrenköpfe im Schaufenster fand Ella besonders verlockend – es gab sie in allen Variationen, und Ella wusste, dass sie sich mindestens drei mitnehmen musste, weil sie sich einfach nicht entscheiden konnte. Dazu gab es noch abgebrochene Schokoladenteile, ohne Nüsse, mit Nüssen, mit Krokant und überhaupt – für einen Moment vergaß Ella, warum sie eigentlich in dieser Stadt herumlief.
Zehn Minuten später stand sie wieder auf der schmalen Gasse. Jetzt hielt sie die erste schwedische Tüte in der Hand – vollgepackt mit Süßigkeiten. Und gerade als sie genussvoll in einen Mohrenkopf beißen wollte, klingelte ihr Smartphone. Sie zögerte kurz, dann zog sie es aus der Jackentasche.
Ben.
Sie hatte ihn noch nicht angerufen, oje. Unwirkliche Szenen von heute Morgen tauchten vor ihrem Auge auf. Sie legte den Mohrenkopf in die Tüte zurück und nahm das Gespräch an.
»Ich habe mir schon Sorgen gemacht«, hörte sie Ben sagen.
»Ach, entschuldige, Ben, du kennst mich doch. Wenn ich irgendwo ankomme, staune ich wie ein Kind und vergesse alles um mich herum.«
»Ja«, seine Stimme wurde zärtlich. »Aber doch nicht mich?«
Ella schloss kurz die Augen. »Natürlich nicht«, sagte sie. »Ganz und gar nicht. Es gibt hier nur so viele Eindrücke … und dann auch eine Zimmerkonfusion beim Einchecken, aber das erzähle ich dir, wenn ich wieder zu Hause bin.« Werde ich das wirklich tun?, fragte sie sich.
»Ich wollte ja nur hören, ob du gut angekommen bist und ob es dir gut geht.«
»Beides, Ben. Und es ist ganz lieb von dir, dass du anrufst. Im Moment bin ich mitten in der Altstadt vor einem betörenden Schokoladengeschäft.«
»In dem du natürlich schon drin warst.«
»In dem ich natürlich schon drin war.«
Sie lächelte und wusste, dass er ebenfalls lächelte.
»Dann wünsche ich dir viel Genuss, Spaß und – pass auf dich auf!«
»Das werde ich!«
»Ich liebe dich!«
»Ich dich auch!«
Natürlich liebe ich ihn, sagte sie sich beim Beenden des Gesprächs. Daran änderte auch so ein kleines Intermezzo, Abenteuer, Zwischenspiel oder wie immer man das nennen wollte, nichts. Sie steckte das Smartphone weg und biss nun endlich genießerisch in ihren Mohrenkopf.
Die erste Galerie, die sie fand, war die Galleri 67 . Sie war in einem interessanten Gebäude aus dem 17. Jahrhundert untergebracht und lag in einem Areal, das früher einmal zur Deutschen Kirche gehört hat, las sie in ihrem kleinen Führer. Schon erstaunlich, dachte sie, wo sich unsere Vorfahren überall herumgetrieben haben. Sie trat ein. Moderne Gemälde und Lithografien hingen an der Wand, und was ihr schon im
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