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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hauptmann
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Aber sie verdrängte das alles, sie schlief mit wildfremden Menschen, kaufte Süßigkeiten und besuchte Kirchen. Sie tat alles, um nicht tun zu müssen, wovor sie Angst hatte. Sie wollte ihn gar nicht finden. Sie konnte aber auch nicht so tun, als ob es dieses Portrait nicht gäbe. Sie konnte nicht so tun, als ob sie jetzt nicht die Pflicht hätte, nach Moritz zu suchen. Sie war die Einzige, die ihn finden konnte, sie war die Zwillingsschwester der Toten. Wenn überhaupt jemand dazu in der Lage war, dann sie, denn sie war ein Teil von Inka.
    Ella fuhr zusammen. Über ihr hatte ein Glockenspiel eingesetzt und erfüllte den Raum mit Klängen, die sie durch den ganzen Körper hindurch bis in die Fußsohlen spürte. Fast hätte sie instinktiv nach der Säule neben sich gegriffen, um sich festzuhalten. »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren«, das hörte sie als Melodie heraus und fragte sich im selben Moment, ob das alles wahr war oder ob sie es träumte. Phantasierte sie nicht?
    Sie musste hier raus, diese Kirche war zu mächtig für sie. Sie spürte zu vieles, was sie nicht einordnen konnte. Vielleicht war sie im Moment auch nicht stabil genug.
    Als sie hinausging, stand rechts neben dem Kirchenportal ein einsamer großer, schwarzer Regenschirm. Sie widerstand der Versuchung und klappte ihren Kragen hoch, doch der Regen hatte bereits nachgelassen, und es war nicht mehr ganz so dunkel, wenn auch die Wolken noch immer sehr tief hingen.
    So wie man sich Schweden vorstellt, dachte Ella und überlegte, ob sie wohl noch ein paar feste Schuhe kaufen musste – am besten gleich Gummistiefel. Auf der Gasse drehte sie sich einmal um ihre eigene Achse. Diese Straße hatte sie bereits erforscht, da ging es zu der breiteren Einkaufsstraße, dort lag die Galerie jedenfalls nicht. Die andere Straße war sie auch schon ohne Erfolg entlanggelaufen. Nun kam noch diese menschenleere Gasse mit den kleinen Geschäften in Betracht. Für eine Kunstgalerie eher unwahrscheinlich, aber sie wollte nichts unversucht lassen. Ihre Schritte hallten zwischen den hohen Häusern wider, und sie fand es seltsam, dass sie an einem so malerischen Ort völlig alleine war, während die Parallelstraße von Touristen überlaufen wurde. Ella betrachtete im Vorübergehen die Auslagen hinter den Scheiben. Konnte man von so einem kleinen Laden leben, fragte sie sich, aber für weitere Gedanken hatte sie keine Zeit, denn die kleine Gasse öffnete sich zu einem Platz, der trotz des leichten Nieselregens voller Leben war. Rote und gelbe mittelalterliche Häuser und zwei junge Männer, die an einem Brunnen saßen und unverdrossen Bob-Dylan-Lieder sangen. Ella blieb kurz stehen und hörte ihnen zu. Eine Gruppe junger Frauen fiel ihr auf, die aussahen, als hätten sie sich auf dem schnellen Weg durch die Stadt zufällig getroffen. Eine trug Shorts, und ihre nackten Beine waren so makellos braun, dass Ella sich wunderte. Um diese Jahreszeit? Die musste im Süden gewesen sein. Und kurze Hosen bei dieser Kälte? Ella fror schon beim bloßen Hinschauen, Schwedinnen waren hart im Nehmen. Sie suchte das Straßenschild. Aha, Stortorget, darüber hatte sie schon gelesen. Hier war auch das Nobel-Museum, und lange, bevor diese Häuser gebaut worden waren, hatte der schwedisch-dänische König Christian II . an dieser Stelle in einer willkürlichen Machtdemonstration neunzig Menschen wahllos abschlachten lassen. Aber heute lag der Platz friedlich und freundlich da, und Ella beschloss, später noch einmal in Ruhe hierherzukommen. Jetzt galt es, endlich diese Galerie zu finden. Sie bog nach rechts ab. Köpmangatan hieß die Gasse, und dort gab es eine Galerie, wenn es auch nicht die gesuchte war, aber vielleicht konnte hier jemand diesen über mehrere Gassen großzügig gemalten Kringel präzisieren.
    Wieder traf sie auf eine hilfsbereite Frau, die ihr den Weg wortreich erklärte. Sie trat sogar mit auf die Gasse. Ella merkte sich vor allem die Himmelsrichtung und lief los. Kopfsteinpflaster, mal rauf, mal runter. Wenn nicht die ganze Altstadt Fußgängerzone gewesen wäre, hätte sie sich längst ein Taxi genommen. Ob es wohl irgendwelche Fremdenführer gab, die man mieten konnte? Irgendwo hier muss es doch sein, dachte sie, ging einige Schritte in eine Gasse hinein und glaubte, in der Ferne eine Lichtquelle ausmachen zu können. Das Kopfsteinpflaster schien etwas heller, so als fiele aus hohen Schaufenstern Licht auf die Straße. Ella gab sich einen Ruck. Optimismus,

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