Liebesschmarrn und Erdbeerblues: Roman (German Edition)
Nacht, Ernesto.«
So ein kleines bisschen hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm was vorgespielt hatte. Das war normalerweise gar nicht meine Art. Aber ich fühlte mich heute wirklich nicht sonderlich gut. Und hätte jetzt keine Kraft für nächtliche Aktivitäten oder gar eine Diskussion gehabt.
Wohl als Strafe für meine Schwindelei wurde ich in der Nacht von wilden Albträumen geplagt. Ernesto schwamm neben mir im offenen Meer und hatte plötzlich eine Haifischflosse auf dem Rücken. Ich versuchte, ihm davonzuschwimmen, aber er holte mich immer wieder ein. Ich rief um Hilfe. Da kam mir die Königin der blauen Donau entgegen. Die Leute schauten mir von der Reling aus zu und stießen sich gegenseitig an. »Ist das nicht Lene?«, fragte Matthias meinen Vater. Doch der schüttelte nur den Kopf und grinste. »Nein. Die ist eingesperrt in einer Hütte im Wald.«
Das Schiff fuhr an mir vorbei, und die Leute winkten mir zum Abschied freundlich zu, ohne meine Hilferufe ernst zu nehmen. Ernesto schwamm ganz nah an mich heran, grinste und riss sein Haifischmaul auf. Dann biss er meinen Finger ab.
Ich fuhr mit rasendem Herzen im Bett hoch und starrte auf meinen geschwollenen Finger. Gott sei Dank. Er war noch dran. Aber er schmerzte wieder fürchterlich. Leise ging ich ins Bad und ließ längere Zeit heißes Wasser darüber laufen. Danach war es wieder etwas besser. Ich ging zurück ins Bett und schlief nach einer Weile ein.
Am nächsten Tag war der Finger zwar noch geschwollen und fühlte sich etwas taub an, aber er tat kaum mehr weh. Da ich keine Lust hatte, mir vom Petermännchen meinen Urlaub vermasseln zu lassen, bat ich Ernesto, mir seine Stadt zu zeigen. Es war sicher eine gute Gelegenheit, auch Ernesto besser kennenzulernen. Wir spazierten lange durch den herrlichen Parc de la Ciutadella, wo ein buntes Treiben von Künstlern und Straßenmusikern für Unterhaltung sorgte. Ein Trommler mit dunklen Haaren und noch dunkleren Augen erinnerte mich ein wenig an Karl. Es erschien mir passend, ihm die hundert Euro, die ich von Karl in der Hütte für das Taxi bekommen hatte, in den Hut zu werfen. Der Straßenmusiker bedankte sich überschwänglich und mit einem besonders wilden Trommelwirbel. Ich lachte auf. Doch Ernesto gefiel das gar nicht.
»Du hättest ihm nicht so viel Geld geben sollen«, sagte er mit vorwurfsvollem Unterton und drängte darauf, den Park zu verlassen.
»Er hat sich so darüber gefreut«, entgegnete ich und war mir keiner Schuld bewusst.
»Ja. Weil er sich davon Alkohol oder Drogen kaufen wird.«
Damit hatte er mir ein schlechtes Gewissen gemacht, und das schöne Gefühl von gerade eben war dahin.
»Das wusste ich nicht«, sagte ich kleinlaut.
»Mach es einfach nie wieder. Okay?«
Ich nickte. Trotzdem ging mir durch den Kopf, dass Ernesto womöglich nicht recht haben könnte. Vielleicht hatte der Trommler ja eine Freundin oder Frau zu Hause und ein Baby. Und mit dem Geld, das ich ihm gegeben hatte, würde er Windeln und Lebensmittel kaufen. Dieser Gedanke munterte mich wieder auf.
»Möchtest du etwas essen?«, fragte Ernesto versöhnlich.
Inzwischen hatte ich tatsächlich Hunger.
»Ja gerne.«
»Na gut. Dann komm.« Er legte den Arm um meine Schultern, und wir gingen zu einem kleinen Fischrestaurant in der Nähe. Mit einer gewissen Genugtuung bestellte ich mir gebratenes Petermännchen. Was übrigens ganz ausgezeichnet schmeckte. Ernesto hingegen ließ seinen gefüllten Tintenfisch zurückgehen, weil er versalzen war. Er beschwerte sich beim Küchenchef und bekam kurz darauf eine neue Portion, die ihm zusagte.
Ernesto war zwar nach wie vor ein amüsanter Begleiter, doch irgendwie verhielt er sich in seiner Heimatstadt ein wenig anders als in Deutschland. Dies war mir nach dem Petermännchen-Unfall aufgefallen. Und es war schwer zu erklären, was sich verändert hatte. Er war nicht mehr so redselig und trat anderen Leuten gegenüber manchmal etwas arrogant auf. Auch mir gegenüber. Wofür es einen deutlichen Punkteabzug gab.
»Macht es dir was aus, wenn ich dich jetzt in die Wohnung zurückbringe?«, fragte er nach dem Essen.
»Hast du was vor?«, wollte ich wissen.
»Ich habe leider einen geschäftlichen Termin, den ich nicht verschieben kann. Aber es dauert nicht lange«, erklärte er.
Da der Finger wieder stärker pochte, hatte ich nichts dagegen, mich ein wenig auszuruhen.
Das Handy zeigte einen verpassten Anruf von Matthias an. Womöglich war es ja was Wichtiges?
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