Liebesvergessen (German Edition)
dreißig Quadratmeter großen Raum, der alles beherbergte, wovon jede Frau nachts zu träumen pflegte. Ich ging noch einen Schritt weiter und an der Frontseite des Raumes waren Schuhe aufgebahrt, deren ideeller Wert weit höher war als der Kaufpreis es je hätte sein können. Pumps, Plateausandaletten, Cowboystiefel, Flip-Flops, high heels, Lack- und Lederstiefel und sogar Reitstiefel. Es war praktisch alles vorhanden, und zwar in sämtlichen Farben.
„Das ist dein eigener Makrokosmos. Wenn ich dir jemanden vorstellen darf: DAS. BIST. DU.“, moderierte Tom stolz, als würde er mir höchstpersönlich den neu zum Leben erwachten Kahlbutz präsentieren.
„Sag mir bitte, dass ich in alle diese Schuhe reinpasse“, forderte ich hysterisch, während ich mir andächtig die Haare raufte und den staunenden Mund nicht mehr zu bekam. Tom nickte und ich konnte es nicht fassen, dass ich mich an dieses Refugium nicht erinnern konnte. Schwindel erfasste mich und ich versuchte mich an einem der Regale festzuhalten. Tom eilte zu mir und stützte mich.
„Das reicht für heute junge Dame. Ich bringe dich jetzt hinunter und dann essen wir erst mal etwas. Meine Mutter hat für uns gekocht.“
„Und? Was gibt es Schönes? Knollenblätterpilz in Vollmilch-Nuss-Soße?“, frotzelte ich.
„Nein, ich habe Königsberger Klopse geordert, wenn´s recht ist.“
Ich lächelte selig: „Das ist sogar sehr recht. Danke Tom.“
Ich stützte mich auf ihn und er brachte mich heil die Treppe hinunter.
Ich nahm am Küchentisch Platz und begutachtete unsere Küche. Alles war modern. Dassbach-Küche. Die Fronten bestanden aus eierschalenfarbenem Hochglanz mit silbernen Armaturen. Wir kochten mit Ceran und die Dunstabzugshaube war mit LED beleuchtet. Alles sehr formidabel. Konnte ich eigentlich kochen? Keine Ahnung. Mir fiel ein, dass ich ein Ei braten konnte. Und Klopse hätte ich auch hinbekommen. Ich konnte mir vorstellen zu kochen, aber ich konnte mich nicht daran erinnern, ob ich hier schon mal gekocht hatte und wenn ja, welches Gericht oder für wen.
Hermine goss die Kartoffeln ab. Der heiße Dampf machte sich in ihrem Gesicht breit und ihre Brillengläser beschlugen. Nach Fassung ringend stand sie für einen Moment nur da und wartete geduldig, bis sie wieder klare Sicht hatte. Ich unterdrückte schwerlich ein Glucksen. Ich blies in den Hals meiner Colaflasche und ahmte ein Nebelhorn nach. Tom schüttelte belustigt den Kopf und Betsy legte sich müde unter meinen Stuhl. Sie war sicher schon eine betagtere Dame.
Nachdem Hermine allen aufgetan hatte, setzte sie sich zu uns an den Tisch und wir begannen zu essen. Trotzdem ich Reis vorgezogen hätte, schmeckten mir die Klopse auch mit Kartoffeln ausgesprochen gut und ich ließ mir sogar noch einen Nachschlag kredenzen. Schweigend aßen wir, jeder in seine Gedanken vertieft.
„Tom-Schatz“, säuselte ich in die Stille, „wo dachtest du eigentlich, werde ich heute Nacht schlafen, Liebling?“, schmachtete ich und brachte ihn damit ganz sicher in Bedrängnis. Ich hätte so gern in meiner oberen Etage geschlafen, sogar am liebsten in meinem neu entdeckten begehbaren Kleiderschrank. Aber jetzt? Tom grinste mich breit an.
„Ach ja, du warst ja noch gar nicht im Atelier, da steht doch unser Ehebett, Häschen! Eigentlich schläfst du nur dann oben, wenn ich zu laut schnarche.“ Ob des frechen Grinsens blieb mir beinahe eine Kaper im Halse stecken. Das sollte doch tatsächlich bedeuten, dass ich die nächsten Nächte mit Tom das Bett teilte. Dreizehnjährige Aufgeregtheit schlich sich wiederholt in mein Bewusstsein.
„Na ist doch schön!“, höhnte die Nebelkrähe freudig erregt. „So lernt ihr euch wenigstens wieder neu kennen. So eine Amnesie würde deinem Vater auch mal gut tun.“
Klar! Soll sich Opa Alfhard doch mal gepflegt vor den Bus schmeißen. Die Alte hat vielleicht Nerven.
„Ist ja auch ganz schön gefährlich, wenn du jedes Mal die Treppen hoch und runter... was Penny?!“ Tom tätschelte nun väterlich gönnernd meine Hand und mein Gesicht gefror zu einer Maske. Wir aßen schweigend weiter. Oma Hermine schob sich die letzte Gabel Klopse in den Mund und legte sie dann quer über ihren Teller. Sie musterte uns abschätzig: „Ich habe den Backofen mal mit Backofenspray gesäubert“, plauderte sie wie beiläufig, „der war ganz schön verkeimt.“ Während sie das sagte, wanderte eine ihrer Augenbrauen angewidert an ihren Haaransatz. Na die Spitze sitzt. Es hätte so
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