Liebesvergessen (German Edition)
wissen, wie es Ihnen wohl geht. Sie sind da ganz schön durch die Luft geschossen. Alle Achtung!“ Während er mir die Unfallsituation schilderte, untermauerte er seine Ausführungen mit wilder Gestik, sicher, um mir zu verdeutlichen, wie enorm hoch und immens weit ich geflogen war. Da hatte mein großer Auftritt aber mächtig Eindruck bei jemandem hinterlassen. Konnte der Herr Berufskraftfahrer sich einen neuen Aufkleber auf sein Auto pappen, frei nach dem Motto: „Meine flog 30 Meter hoch!“
Jedenfalls war ich jetzt im Bilde. Der Fremde war also das Unfallopfer, weil ich ja der Verursacher war, wenn ich das so richtig verstand. Sollte ich mich vielleicht für die Unannehmlichkeiten entschuldigen? Das geböte der Anstand, oder?
Der Mann drapierte nun unbeholfen den sterbenden Strauß in der Ente auf meinem Nachtschrank und streckte mir schüchtern seine Eierhand entgegen.
„Holger Bluhm, mein Name, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt, wie gedankenlos.“
Widerwillig schüttelte ich seine Hand und blickte mich suchend um, ob ich irgendwo eine Steriliumflasche ausmachen konnte. Negativ . Ich räusperte mich und schluckte den Ekelkloß hinunter. Ich kannte mich zwar nicht, glaubte aber zu wissen, dass ich mich in solchen Situationen für gewöhnlich aus dem Stand heraus erbrach (im Strahl!).
„Also ich soll Penelope Plage heißen, aber ob das stimmt, kann ich gar nicht sagen. Mein Gehirn wurde durch den Flick-Flack mächtig durchgeschüttelt. Es funktioniert jetzt nicht mehr so gut.“
„Retrograde Amnesie“, wehte es altklug vom Nachbarbett herüber. Die Oma hob die Hand zum Gruß und nachdem ich sie mit Blicken getötet hatte, verstummte sie schuldbewusst über ihrem Sudoku-Heftchen, an welchem sie sich inzwischen gütlich tat (nur zum Schein, da war ich mir sicher!).
„Ach wirklich? Sie haben vergessen, wer Sie sind? Das ist ja interessant“, fand Herr Bluhm, während er sich distanzlos aufs Fußende plumpsen ließ. Ich nickte und versuchte, meine Empörung herunter zu schlucken, wobei meine Gesichtszüge ordentlich entgleisten.
„Und Schmerzen haben Sie auch, oder?“, deutete Herr Bluhm meine Mimik. Ich nickte nochmals, während ich neugierig in meine Handtasche lugte. Ich wollte ja nicht unhöflich sein, aber mich interessierte jetzt nicht so sehr, was der Herr Blum fand, sondern eher, was sich in meiner Handtasche befand.
„Ich weiß nicht mal, ob ich einen Vierbeiner zu Hause habe“, sagte ich, geschweige denn, ob ein Zweibeiner daheim auf mich wartet, einer vielleicht, von dem ich noch nicht geschieden bin , fügte ich gedanklich hinzu.
„Sie sollen sich ja auch Zeit geben…“, kam es belehrend von meiner Bettnachbarin. Ich griff derweil in meine Handtasche. Als erstes fiel mir mein Personalausweis in die Hände. Ich betrachtete das Foto. Auf dem Bild lächelte mir eine fremde Frau entgegen mit dunklen, glatten Haaren, feinen Gesichtszügen und mit überhaupt keinem bisschen matschiger Nase. Die war vielleicht einen µ (sprich: Mü) zu groß geraten, aber eventuell hatte man das ja jetzt gleich korrigiert, wenn man denn schon mal Hand angelegt hatte, hoffentlich! Ich überflog das Kleingedruckte: Augenfarbe blau, Größe 173 cm, Riensbergstraße 4, Berlin. Ich lüftete die Bettdecke, um meine Figur in Augenschein zu nehmen. Sechsunddreißig, vielleicht eine achtunddreißig, ziemlich große Möpse, mindestens eine B, wenn nicht sogar eine C, hoffentlich eine C! Für einen kurzen Moment war ich versucht, sie anzufassen, um die Festigkeit zu überprüfen, aber die Anwesenheit von Herrn Bluhm ließ mich zögernd innehalten.
„Kann ich denn irgendetwas für Sie tun?“, riss mich Herr Bluhm aus meinen Überlegungen.
Klar, frag bei Interpol an, ob ich auf der Fahndungsliste stehe. Oder bring in Erfahrung, ob in der Riensbergstraße 4 eine prunkvolle Villa steht oder vielleicht doch ein herunter gekommener Plattenbau, mit einer graffitibesprühten Tür und mindestens 80 Klingelknöpfen. Oh je!
Mit derlei Mission wollte ich das arme Opfer dann aber doch nicht betrauen. Er war ja auch schließlich Kraftfahrer von Beruf und kein Detektiv. Genug schon der Tatsache, dass er nun wahrscheinlich an einem posttraumatischen Berufskraftfahrersyndrom litt, im ungünstigsten Fall! Er hatte genug durchgemacht. Im Grunde sehnte ich einen Abschied herbei . Einen Baldigen sogar. Herr Bluhm konnte mir so gar nicht weiterhelfen und war mir mit seinen störenden Fragen nur lästig, auch wenn sie
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