Liebesvergessen (German Edition)
zwang mich selbst, mir etwas Harmloses vorzustellen, beispielsweise wie ich in der Haustür stehe, während ich Hermine und Alfi den Koffer entgegenwuchte, zeitgleich mit einem weißen Stofftaschentuch wedele und ein Lebt wohl hauche. Wir legten auf. Glücklich und zufrieden klatschte ich mir in die Hände und machte mich bei, weiter an meinem halb fertigen Strampelanzug zu schneidern. Meine neu entdeckte (oder auch wieder gefundene) Leidenschaft, nämlich das Nähen, wurde immer öfter von meiner neuen Krankheit, der akuten Blasenschwäche, unterwandert. Ich saß noch nicht richtig, musste ich auch schon wieder zur Toilette. Ich bin mir nicht sicher, ob man darüber spricht, aber sagen wir es mal so: Was vorne zu viel kam, kam hinten gar nicht mehr beziehungsweise beängstigend dürftig. Ich litt unter Verstopfung, mindestens 2. Grades, vielleicht auch höher.
Abgesehen davon hatte meine Haut eine merkwürdige rote Pickel- und Kraterlandschaft entwickelt, welche ich ebenso getrost der Schwangerschaft zuschrieb. Hatte nicht eigentlich mal irgendwer behauptet, Schwangerschaft sei keine Krankheit? Und warum fühlte ich mich dann so elend?
Während ich so vor mich hin sinnierte, fing ich jetzt an, die Vorderseite des Stramplers zu besticken. Die Handarbeit entspannte mich und gab mir die Möglichkeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Ich hatte Georg also mein Herz ausgeschüttet und ihm erzählt, dass Tom eine Affäre unterhielt, bei der ich ihn inflagranti erwischt hatte?! Jedenfalls hatte ich das Georg gegenüber behauptet. Durfte ich Georg überhaupt vertrauen? Jeder hatte mich wissen lassen, wie nah wir uns jeweils standen, nur konnte ich mich darauf verlassen? Schließlich war das doch eine subjektive Empfindung. Wem konnte ich also wirklich 100-prozentig vertrauen? Was, wenn Georg mir ein Märchen auftischte. Aber was, wenn Georg die Wahrheit sprach? Was, wenn mein Unfall einen Grund hatte, nämlich den, dass es jemand auf mich abgesehen hatte? Jemand, der mir vermeintlich nah stand. Und was, wenn die frühe Anja Toms Affäre war? Vielleicht hatte sie mich ja angelogen, bezüglich des Geldes, welches Tom ihr noch schuldete. Es gab so viel „Was, wenn’s“, dass mir ganz schwindlig wurde vom vielen Nachgrübeln. Egal, in welche Richtung ich dachte, letztendlich war meine Situation doch immer wieder dieselbe. Ich hockte schwanger zu Hause, während ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie sich mein bisheriges Leben gestaltet hatte. Einzig ein Umstand hatte sich, dem Himmel sei Dank, zum Guten gewendet, nämlich der, dass ich über Hermine triumphiert hatte. I’m the winner!
Ich musste endlich aufhören, meine r Paranoia nachzugeben und damit beginnen, mich auf meine Zukunft zu konzentrieren. Schließlich konnte es sogar möglich sein, dass mir meine Vergangenheit nie wieder einfiel. Und dann? Was dann? Ich musste einfach aufhören, über das, was gewesen war, nachzugrübeln, das brachte mich nämlich auch nicht weiter und machte mich irgendwann noch ganz wahnsinnig.
In Höhe des Lätzchens formten sich drei rote Blumenblätter. Ich wechselte das Nähgarn und fädelte Grün ein.
Was, wenn ich die F irma wechselte? Würde ich irgendwo einen Job bekommen? Und als was? Als Näherin? Klar, hatte Georg mir freie Hand und ein gutes Gehalt auch zukünftig in Aussicht gestellt. Aber ich konnte mir so gar nicht vorstellen, erneut bei Georg einzusteigen, er war ein Fremder, von dem ich eventuell ein Kind erwartete. Und er war mein Boss. Und Herumreisen war jetzt auch das Letzte, was ich wollte. Der Unfall hatte sicher einen guten Grund gehabt, versuchte ich mir selbst ins Gewissen zu reden. Hatten Isa und Vera nicht behauptet, ich hätte ein Leben auf der Überholspur geführt? Die Überholspur konnte ich mit einem Kind getrost an den Nagel hängen. Ich hatte ja dann jetzt auch Besseres zu tun: Schwanger sein zum Beispiel und unentwegt die Toilette aufsuchen und gleichzeitig verstopft sein! Dann das Gebären, auch kein leichter Akt der Grausamkeit, wenn man’s genau nimmt. Wer weiß, wie lange ich in den Wehen schreien würde?! Und das Pressen der Melone aus dem Nussloch, war ganz sicher auch eine Aufgabe, der ich viel Bedeutung beimessen würde müssen – wie jede Frau. Und dann das Stillen. Ich hatte mich so darüber gefreut, dass angesichts meines Alters meine Brüste noch prall und fest waren und auch da, wo sie hingehörten. Dieser Zustand würde nun auch nur noch begrenzt andauern. Ich tat gut daran, ihn zu
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