Liebhaber der Finsternis
sich eine lila Haarsträhne gefärbt. Er trug immer die aktuellste Mode und hörte die schrillste Musik. Man konnte ihn als Revoluzzer der Vampirszene betiteln. Er war wie einer der jungen Wilden und sie wusste, dass die anderen sich darüber aufregten. Sie fand ihn sympathisch und freute sich über seine sprühende Energie und seine Verrücktheiten.
Sie überlegte noch, welcher der Vampire in der Bibliothek verweilen mochte, als sie im nächsten Augenblick die Klinke hinunterdrückte und Jeqon tief in ein Buch versunken vorfand. Als er aufsah, ließ sie den Blick sinken. Sie wusste nicht, wie sie sich mit ihm unterhalten sollte. Wie sollte sie ihn fragen, wer Mister Oktober war, wenn er nicht sprechen konnte? Sie trat von einem Fuß auf den anderen, dann ging sie unbeholfen einen Schritt auf ihn zu. Feige wollte sie auf keinen Fall wirken. Er sah nicht auf, nicht einmal, als sie nur einen halben Meter vor ihm stehen blieb.
„Jeqon, ich wollte mich bei dir bedanken, dass du mich da rausgeholt hast. Ich habe von Cian gehört, dass es deine Idee war, nach mir zu sehen. Jedenfalls — danke. Ich weiß es zu schätzen“, sagte sie und wollte sich schon wieder aus dem Zimmer entfernen, als seine Hand nach ihr griff. Sie sah ihn verwundert an und blickte ihm in die Augen. Er sagte nichts und doch sah sie Freude darin aufblitzen. Seine goldbraunen Augen nahmen für einen Moment einen warmen Ausdruck an. Sie baten sie, nicht zu gehen und so ließ sich neben ihm nieder und begann zu erzählen. Es strömte aus ihr hinaus, als wäre ein Damm gebrochen. Ihre Worte waren wie ein nicht enden wollender Fluss, der zu lange aufgestaut wurde. Es vergingen Stunden, seine wachsamen Augen wurden nicht müde und seine Hand hielt die ganze Zeit über die ihre. Ab und zu drückte er diese liebevoll und zeigte ihr, dass er sie verstand.
Als sie endete, fühlte sie sich wie befreit. Sie hatte keine Angst mehr vor ihm und seine Narben jagten ihr keine Schauder mehr über den Rücken. Er war ganz anders. Sie hatte endlich jemanden gefunden, dem sie sich anvertrauen konnte und bei dem sie nicht das Gefühl hatte, er würde sie wie ein kleines Mädchen behandeln. Als sie aufstand, gab sie ihm einen Kuss auf die Wange.
„Danke, du bist echt okay. Wenn dir irgendwann mal danach ist und du brauchst jemanden zum Reden, zögere nicht, an meine Tür zu klopfen.“ Sie kritzelte ihre E-Mail-Adresse auf einen Zettel und drückte sie ihm in die Hand. „Vielleicht ist es einfacher für dich, zu schreiben.“
Sie wollte das Zimmer verlassen, als ihr einfiel, warum sie überhaupt hierhergekommen war. Sie wollte doch wissen, wer in der nächsten Vollmondnacht ihr Partner würde. Sie sah ihn fragend an und begann, die Namen der Clanmitglieder aufzuzählen. Beim Namen Pursan nickte er und ihre Beine wurden weich. Sie hatte einen Plan, konnte sich aber nicht vorstellen, dass er auf diesen eingehen würde. Sie wollte es trotzdem auf einen Versuch ankommen lassen.
Heute war es so weit, Vollmond. Leah hatte alles bis ins Kleinste geplant. Sie hatte geduscht und ein seidenes Nachthemd angezogen, das ihre Haut weich fließend umspielte, aber nicht zu viel preisgab. In einen Korb hatte sie alle Utensilien gepackt. Sie hatte Sam darum gebeten, der ihrem Wunsch verwundert nachkam. Als sie an die Tür klopfte und Pursans warmer Bariton sie hereinbat, schwand ihr Mut. Sie hatte Angst, wie er auf ihren Vorschlag reagieren würde.
„Guten Abend, darf ich eintreten?“, fragte sie.
„Heute so förmlich, meine Kleine? Natürlich, ich habe dich schon erwartet“, antwortete er und kam auf sie zu. „Was hast du da?“, fragte er und zog das Tuch vom Korb. Er nahm Tupfer und Skalpell heraus und sah sie verwundert an. „Sollte mir das etwas sagen? Spielst du gern Doktorspiele? Soll mir recht sein, schließlich wollen wir doch beide auf unsere Kosten kommen. Bist du die Ärztin oder spiele ich den Arzt?“
Er kam so nah, dass sie seinen würzigen Geruch wahrnahm. Er roch nach Moosen und Hölzern, irgendwie wild und aufregend. Sie atmete noch einmal tief durch und nahm den erregenden Duft in sich auf.
„Also, eigentlich nicht“, gab sie zu. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Ich möchte gern darauf verzichten, mit dir die Nacht zu verbringen und dachte, du könntest dein Blut in das Glas geben, sodass ich es in meinem Zimmer zu mir nehmen kann.“
Nun war es raus. Sie beobachtete ihn. Es sah fast aus, als wäre er blass geworden, was sie für
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