Liebhaberstück Xenia (German Edition)
folgte.
An der Tür drehte sich Lisa um und machte mir ein Zeichen, eine Art Winken mit gekrümmten Fingern.
Ich winkte zurück.
Sie machte das Zeichen wieder, eine Idee energischer.
Noch immer begriff ich nicht, was das Kind von mir wol lte. „Lisa, was willst du mir sagen? Ich bin nicht gut im Raten. Mit mir musst du schon reden!“
„ Komm wieder! Morgen!“, sagte sie zu mir.
„Das hatte ich eigentlich nicht vor“, antwortete ich eh rlich.
„Doch !“, beharrte sie mit kindlichem Trotz.
„Ich wollte mich nur vergewissern, dass es deinem Vater gut geht“, erklärte ich, „und dann nicht wieder kommen. Nie wieder!“ Dieser Seitenhieb auf Thorsten war jetzt zwar nicht angebracht, aber ich musste ihn mir trot zdem gönnen.
„Bitte!“ Lisa stampfte ein Bein auf.
„Bitte!“, flehte auch Thorsten – ja, flehte! Sein Blick fixierte mich durchdringend mit einer Intensität, die sich wie eine elektrische Spannung im Raum aufbaute.
Am bemerkwertesten jedoch verhielt sich Frau Har tmann. „Bitte!“, wimmerte sie, presste dann eine Hand vor den Mund, während Tränen über ihre faltigen Wangen rollten, die dringend unsere Anti-Aging-Creme hätten vertragen könnten.
Waren he ute denn alle verrückt?
Meine Unfähigkeit, eine ältere Dame weinen zu sehen, siegte. Und auch meine Neugier. „Also gut“, gab ich nach. „Morgen drei Uhr?“
„Ja!“ Frau Hartmann nickte so heftig, dass ihre Locke nwicklerfrisur fast jugendlich wippte. Dann folgte sie Lisa, die schon zur Tür hinausgehüpft war.
So bald wir allein waren, wandte ich mich Thorsten zu. „Was war das denn?“
Doch er antwortete nicht.
„Thorsten?“
Wieder keine Reaktion.
Er lag mit geschlossenen Augen da. Sein Gesicht war bleich.
Sehr bleich.
Ich sprang zu ihm und überprüfte seinen Puls. Der war flach und schnell.
Zu flach. Und zu schnell.
„Thorsten!“ Von Panik ergriffen öffnete ich die Sperre des Infusionsschlauches und ließ die Tropfen der Kochsalzlösung in einem Strahl in seine Vene schießen, um wenigstens fürs erste seinen Kreislauf zu stabilisieren. Dann suchte und fand ich den Notfallknopf, mit dem man die Schwestern alarmieren konnte.
Bevor ich dazu kam, ihn zu drücken, schloss sich Tho rstens Faust mit beruhigender Kraft um mein Handgelenk. „Nicht!“ Seine Augen starten mich glasig an.
Ich wand meine Hand aus seinem Griff. „Thorsten, verdammt, das sieht nach einem postoperativen Schock aus. Vielleicht durch innere Blutungen. Wir müssen was tun.“
„Nein, das is t es nicht.“ Er griff zum Infusionsschlauch und drehte die Durchlaufgeschwindigkeit wieder auf ihr vormaliges Maß zurück.
„Was soll es dann sein?“
„Es ist wegen Lisa.“ Er schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. „Setz dich!“
Als ich stehen blieb, fügte er ein „Bitte!“ hinzu. Das klang zwar auch wie ein Befehl, aber aus Neugier setzte ich mich trotzdem neben Thorsten auf das Bett. „Was ist mit Lisa?“
„Sie hat gesprochen.“
„Ja?“, ermunterte ich ihn ungeduldig.
„Sie hat gesprochen“, wiederholte er. „Seit sechs Jahren das erste gottverdammte Wort!“
„Was?“ Ich versuchte, diese Information zu verdauen. Ja, bis zu dem Abschied vorhin hatte ich sie tatsächlich kein einziges Wort sprechen gehört, weder heute noch in Schottland. Ich hatte es für Schüchternheit gehalten. „Aber warum…?“ So viele Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, dass ich gar keine einzige fassen konnte.
Thors ten hatte die Augen wieder geschlossen. Unter dem rechten Augenlid glitzerte etwas. War das eine Träne?
„Durch ein Trauma hat te sie ihre“, er atmete zittrig ein und aus, „Fähigkeit zu sprechen eingebüßt.“
„We lches Trauma?“
„Das ist eine Familienangelegenheit.“
Damit würde er nicht durchkommen! „Verdammt, Thorsten! Rede mit mir!“
Er öffnete die Augen und richtete sie gequält auf mich. „Du würdest mich vielleicht verachten, wenn ich es dir erzähle!“
Interessiert horchte ich auf. „Da ich, gelinde gesagt, sowieso nicht gut auf dich zu sprechen bin, spielt das auch keine Rolle mehr.“
Als er sich noch immer zierte, setzte ich gnadenlos nach: „ Wenn ich mich morgen mit Lisa treffe, muss ich wissen, was ich zu ihr sagen darf und was nicht, sonst fällt sie womöglich wieder in den alten Zustand zurück. Ich muss Bescheid wissen. Für Lisa! “
Damit hatte ich ihn. „Es ist aber eine lange, hässliche Geschichte.“
„Ich habe Zeit.“
„Caroline hat Lisa nie
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