Liebhaberstück Xenia (German Edition)
unbehaglich bis hinunter zu den Knien zerrte.
Auf die wütend e Aufforderung des Unparteiischen hin wandte er sich mit einer lockeren Drehung wieder der Ringmitte zu. Und lief geradewegs in die vorschießende Rechte seines Gegners, dem es inzwischen gelungen war, sich aufzurappeln und letzte Kraftreserven für diesen einen Schlag zu mobilisieren.
Thorsten Hartmann ging in die Knie. Schockiert sprang ich auf, wurde aber sogleich am Arm gepackt und zurück auf meinen Sitz gezogen. Mick, der beherzt über Freya hinweg gegriffen hatte, ließ meinen Arm los, tätschelte ihn kurz und sprach: „Keine Sorge, der kommt schon klar!“
Trotz der Zuversicht, die in seinen Worten lag, war Mick mit zwei langen Sätzen am Ri ng und brüllte: „Alles okay, Thorsten?“
Der Ringrichter hatte begonnen, Hart mann anzuzählen. Der ältere Herr in dem altmodischen Trainingsanzug stellte sich neben Mick und rief irgendetwas, das ich nicht verstand.
Hartmann machte eine wegwerfende Bewegung und kam, wenn auch hölzern, auf die Beine. In diesem Moment e rtönte gnädig der Pausengong und erlaubte es beiden angeschlagenen Boxern, in ihre Ringecken zu torkeln.
Ohne nachzudenken eilte ich in Hartmanns Ringecke , wo sich inzwischen eine Gruppe von Boxern versammelt hatte und mir die Sicht versperrte. An sehnigen Männerarmen zerrend verschaffte ich mir deren Aufmerksamkeit, indem ich immer wieder schrie: „Ich bin Hebamme!“
Meine Zuständigkeit widerspruchslos akzeptierend mac hten mir die Boxer sofort Platz und halfen mir, in den Ring zu steigen. Dort saß Thorsten Hartmann und drückte sich ein blutdurchtränktes Tuch vor die Nase. Der ältere Herr in dem altmodischen Trainingsanzug hielt ihm verschiedene Dinge hin: einen Spiegel, den Mundschutz, eine Flasche Wasser und einen Kugelschreiber.
Der islamistische Selbstmordattentäter stellte sich mir in den Weg. Mit der Erklärung: „Ich bin Hebamme!“ schob ich mich an ihm vorbei. Daraufhin wagte auch er es nicht mehr, mich weiter aufzuhalten.
„Ich brauche keine Hebamme !“, kam jedoch die übellaunig geknurrte Reaktion vom Verletzten selbst. „Das ist nur ein gebrochenes Nasenbein. Das haben wir gleich!“
„Wie kann ich helfen?“ , bot ich anstandshalber an.
„Sie können “, sagte Hartmann, „den Spiegel halten.“
Er drückte mir den Spiegel in die Hand und rückte meine Finger passend zurecht, dass er sich gut sehen konnte.
„Sollen wir den Kampf abbrechen?“ , hörte ich Micks Stimme über meinen Kopf hinweg fragen.
„Wenn du das tust“, bellte Thorsten Hartmann, „trete ich deinen Arsch durch diese ganze verdam mte Halle!“
„Das bede utet wohl ein Nein“, interpretierte der Ringrichter, der neben Mick auftauchte. „Sie haben aber nur noch eine Minute bis zur nächsten Runde!“
„Das reicht “, behauptete der Doktor. Staunend beobachtete ich, wie er das blutgetränkte Tuch fallen ließ, den Kugelschreiber von dem älteren Herrn in dem altmodischen Trainingsanzug entgegennahm und ihn sich tief in die lädierte Nase schob. Mit der anderen Hand fasste er seine Nase und rückte sie mit einem kurzen Ruck zurecht. Der Kugelschreiber glitt mit einem Schwall Blut wieder heraus. Einer der Jungboxer drehte sich erbleichend um und hielt sich am Ringseil fest.
Der ältere Herr tupfte das aus des Doktors Riechorgan strömende Blut ab und klebte ein Pflaster über den Nasenrücken, nachdem Hartmann sich die Nasenlöcher mit Papiertaschentuchfetzen ausgestopft hatte. Die Routine dieser Teamarbeit zeigte, dass es sich bei der ganzen Aktion um nichts Außergewöhnliches handelte.
Gerade als der Gong ertönte , schob Thorsten Hartmann sich den Mundschutz zwischen die Zähne. Seine eben erst stark bevölkerte Ringecke war wie von Geisterhand plötzlich menschenleer, und ich fühlte mich von dem älteren Herrn in dem altmodischen Trainingsanzug zu den Ringseilen geschoben. Den Spiegel riss er mir aus der Hand.
Als ich so schnell wie möglich durch die Seile stieg - schwierig mit einem hautengen Kleid und Stöckelschuhen! – fühlte ich mich weiter unterstützt durch den älteren Herrn, der mich beherzt aus dem Ring schubste, und durch Mick, der mich dankenswerterweise unten auffing. Mick brachte mich zurück zu meinem Platz und holte auch noch den einen Schuh, den ich verloren hatte.
Freya checkte mich mit weiblichem Röntgenblick durch, wandte sich dann aber kommentarlos dem Geschehen im Ring zu. Micks Gelassenheit war einer greifbaren Anspannung gewichen,
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