Liebling der Götter
Stangen ausmachen, die den Himmel an die Erde zu klammern schienen. Der Kaukasus war verschwunden, und er selbst stand offenbar in den Straßen einer Stadt, allerdings keiner Stadt, die er kannte. Es fiel dichter Schnee, doch aus irgendeinem Grund legte er sich nicht auf Jason; genauer gesagt, brachte es jede einzelne Schneeflocke irgendwie fertig, ihm in letzter Minute auszuweichen und woanders zu landen. Wo immer dieser Ort auch sein mochte, Jason hatte das seltsame Gefühl, sich in Wirklichkeit nicht dort, sondern ganz woanders zu befinden.
»Wo bin ich?« fragte er.
»Weißt du«, sagte eine Stimme neben ihm, »ich habe nie damit gerechnet, jemanden das tatsächlich fragen zu hören. Das tun doch nur diese Figuren in den Büchern …«
»Mag sein«, entgegnete Jason, »aber wo, um Himmels willen, befinde ich mich eigentlich? Und solche literarischen Spitzfindigkeiten verschieben wir auf später. Und wer bist du?«
»Prometheus«,
antwortete die Stimme (oder die Stimmen), wobei sie die Namen gleichzeitig aussprach,
»Gelos«,
»und du bist auf der Welt, die du in der Hand hältst. Das ist zwar, wie mir/uns klar ist, kaum ein origineller Einfall, aber was soll’s? Du bist selbst schuld, weil du unbedingt wissen wolltest, was hier gespielt wird.«
»Aha«, erwiderte Jason. »Dann weiß ich jetzt also Bescheid, was hier gespielt wird, wie? Vielen herzlichen Dank auch.«
»Jason«, sagte(n) die Stimme(n), »der Planet, auf dem du stehst, ist eine Welt, die wirklich existiert. Seine technische Bezeichnung lautet Betamax-Welt 87659807, und in materieller Hinsicht ist er größtenteils genau wie deine Welt. Er ist deine Welt; oder könnte es zumindest sein. Deine Welt könnte mit diesem Planeten verschmolzen werden, und niemand würde es merken. Zwar gibt es einige Unterschiede, wie du bald herausfinden wirst, aber an die würde sich nach der vollständigen Verschmelzung niemand mehr erinnern. Es wäre, als ob schon immer alles so gewesen sei, und jeder, dessen Erinnerung davon abweichen würde, käme an einen stillen und friedlichen Ort mit hohen Mauern, bis er sich wieder erholt hätte. Nun wollen die Götter deine Welt mit dieser verschmolzen haben und bemühen sich schon seit sehr langer Zeit, die Verschmelzung herbeizuführen. Mir/uns wäre es lieb, wenn du dir diese Welt ansehen und mich/uns wissen ließest, was du von ihr hältst.«
Jason zuckte die Achseln. Das war, fand er, wie diese Angebote, die man von Timesharing-Firmen bekommt, wo man hingeht, sich deren Blabla anhört und anschließend mit einem tragbaren Fernseher nach Hause geht. Das einzige, was hier auf den ersten Blick fehlte, war irgend etwas, das einem tragbaren Fernseher ähnelte.
»Wo sind wir denn jetzt?« fragte er. »Ich erkenne das hier überhaupt nicht.«
»Das ist die Straße, in der du wohnst oder gewohnt hättest oder wohnen wirst, und zwar in Anglia, das mit dem als England bezeichneten Land identisch ist, war oder sein wird«, sagte(n) die Stimme(n). »Und das Datum ist der vierundzwanzigste Dezember. Entschuldige, wenn das alles etwas antiquiert erscheint, aber da wir nicht viel Zeit haben, sollte der Kulturschock so groß wie möglich sein. Dies ist eine Welt, auf der Prometheus nie den Witz aus dem Himmel gestohlen hat und wo sich die Götter nie zur Ruhe gesetzt haben. Gut, los geht’s.«
Während Jason noch dastand und sich von dem obigen Gespräch erholte, das in ihm Erinnerungen an eine Prüfung in englischer Grammatik nach dem Multiple-choice-Verfahren geweckt hatte, sah er auf und erblickte einen kleinen Haufen armselig aussehender Menschen, die sich die Straße entlangschleppten. Sie trugen graue Wollmäntel und gestrickte graue Schals und wurden von einem vorbeifahrenden Ochsenkarren von oben bis unten mit Schneematsch bespritzt. Der Anführer der Gruppe trug eine Sammelbüchse mit der Aufschrift Bitte eine ehrfürchtige Spende für die Götter. Vor einem der baufälligen strohgedeckten Häuser blieb die Gruppe stehen und stimmte ein Lied an.
»Wir wünschen euch Saturnalien«, sangen sie,
»Wir wünschen euch Saturnalien
Wir wünschen euch Saturnalien
Und ein frommes neues Jahr.«
»Siehst du, kein Weihnachten«, sprach(en) die Stimme(n) in Jasons Ohr. »Keine Konstantinische Schenkung, kein Christentum, folglich kein Weihnachten.«
»Mhm«, erwiderte Jason, und um ein Haar hätte er ›Humbug‹ hinzugefügt. Weihnachten langweilte ihn immer zu Tode, zum einen weil er ein Held war und aufgrund
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