Liebling der Götter
die Höhe wie die Aktienkurse im letzten April. »Wieso gerade den?«
Mary grinste. »Das wirst du schon sehen. Glaubst du, du kannst dich mit ihm in Verbindung setzen? Schnell, meine ich? Ohne diesen ganzen Hokuspokus?«
Ms. Fisichelli schüttelte den Kopf. »Nein«, entgegnete sie. »Du weißt genausogut wie ich, wie wir vorgehen müssen, um ihn herbeizurufen. Wenn du recht hast, bleibt uns einfach nicht genug Zeit, um …«
Mary blickte ihr argwöhnisch in die Augen.
»Also schön«, gab Ms. Fisichelli nach. »Es gibt eine Möglichkeit. Aber dafür liegt mir zuviel an meinem Job …«
Mary sah ihr abermals in die Augen, um ihrer Aussage mehr Nachdruck zu verleihen. »Betty-Lou, was, glaubst du eigentlich, ist dein Job denn wohl noch wert, wenn es Apollo nicht mehr gibt?«
»Also …«
»Betty-Lou.«
Die Pythia zögerte nur noch einen Augenblick; dann zuckte sie mit den Schultern. »Verdammt! Ich nehme an, man kann nur einmal in einen Rüsselkäfer verwandelt werden. Also gut, du hast gewonnen.«
Während die Pythia einen Schritt zur Seite tat und sich geistig auf das nun folgende vorbereitete, lächelte Mary.
Es gibt viele verschiedene Arten, Götter herbeizurufen. Man kann Ziegen opfern, Weihrauch verbrennen, Mantras rezitieren oder sich jeder x-beliebigen Kombination aus diesen drei Möglichkeiten bedienen. Darüber hinaus stehen komplizierte Beschwörungsrituale zur Verfügung, von denen uns schon einige begegnet sind; man kann Botschaften auf den Architraven von Tempeln hinterlassen oder dafür das Standbild benutzen. Im großen und ganzen haben die Götter eigentlich gegen keine der drei Herbeirufungsarten etwas einzuwenden, da diese nicht verbindlich sind und sich die Götter sozusagen der göttlichen Variante des Den-Hörer-einfach-auf-der-Gabel-liegen-Lassens bedienen können. Wendet man jedoch die einzige Methode an, der sie unabhängig vom momentanen Aufenthaltsort und der eventuellen derzeitigen Beschäftigung Folge leisten müssen, dann erhält man garantiert einen Gott – und zwar höchstwahrscheinlich einen in Unterhose und Socken, der sich nicht mehr das Gebiß einsetzen konnte und der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr verärgert ist. Schließlich geht einem allmächtigen Wesen nichts so sehr gegen den Strich, wie sich von jemand anderem bevormunden zu lassen.
Was man tun muß, ist folgendes: Man steckt zwei Finger in den Mund und pfeift.
Vor allem aufgrund des durch die Einführung der neuen Technologie hervorgerufenen quantitativ gewaltigen Anstiegs der philosophischen Produktivität bedurften viele der grundlegenden Maximen, aus denen das Weltbild des modernen Astrophilosophen besteht, der Verbesserung und Ausweitung. So wurde beispielsweise an der Universität von Princeton Descartes’ unsterblicher Schluß cogito ergo sum durch eine von den Professoren Montjuic und Lauterbrunnen geleitete Gruppe von Jungforschern einem Zerstörbarkeitsversuch unterzogen und lautet jetzt in der verbesserten Fassung, die in der Shorter Harvard Orthodoxy zu finden ist:
a) Ich denke, also bin ich; oder
b) Vielleicht habe ich gedacht, also bin ich gewesen; aber
c) Heutzutage überlasse ich solche Dinge lieber meiner Frau.
Entwicklungen wie diese haben wiederum zu einem wachsenden Geschäftssinn bei Akademikern beigetragen, die an theologischen Themen arbeiten, und viele von ihnen halten sich mittlerweile auf geistliche Fragen spezialisierte Anwälte, Buchhalter und natürlich Agenten. Das führende Unternehmen geistlicher Vertreter ist selbstverständlich Alfred Furbank mit Sitz in New York und London, dessen Mitarbeiter Mr. Kortright (neben vielen anderen) auch Betty-Lou Fisichelli vertritt. Begreiflicherweise ist Mr. Kortright ein sehr beschäftigter Mann, und als er mitten auf dem Flug zur jährlichen theologischen Handelsmesse in Frankfurt gleichzeitig zwei Anrufe von Klienten erhielt, wünschte er, er wäre in der Lage gewesen, einen Assistenten zu finden, dem er die Fälle hätte übertragen können. Die für die Arbeit als erfolgreicher geistlicher Agent erforderlichen Fähigkeiten sind jedoch dünn gesät.
»Wer ist dran?« erkundigte er sich nochmals.
»Die Pythia von Delphi auf rot«, antwortete die Vermittlung in New York, »Aleister Crowley auf blau. Letzterer ruft von einem Münzfernsprecher aus an. Die beiden warten.«
Kortright ergriff ein leichter Schauder. Gegen sein besseres Urteilsvermögen hatte das New Yorker Büro kürzlich eins dieser Geräte
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