Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
seines Werdegangs auf einer höheren Erfahrungsebene lebte und zum anderen weil ihm seine Familie stets Strümpfe schenkte. Irgendwas an dem Lied störte ihn jedoch. »Müßte es nicht trotzdem ›Wir wünschen euch frohe Saturnalien‹ heißen?«
    »So was wie frohe Saturnalien gibt es nicht.«
    Die Sänger hatten ihr Lied beendet, und die Haustür öffnete sich. Ein verängstigt aussehender Mann streckte den Kopf heraus, schob zwei Goldmünzen in die Büchse und knallte die Tür zu. Der Anführer hakte einen Namen auf der Liste ab, und die Gruppe zog weiter die Straße entlang. Vor der nächsten Tür sangen sie:
     
    »König Atreus blickte hinaus
    Auf des Pindos steilen Hang.
    Ein jäher Blitz löschte ihn aus
    Zu Asche, gefolgt von Donnerklang.
    Atreus schmiedete ein Komplott
    Und vergrämte so den Jove.
    Leute, beleidigt nie ’nen Gott,
    Sonst steht ihr da wie Doofe.«
     
    Eine Zeitlang herrschte absolute Stille, die nur durch das Muhen einer Kuh in der Ferne unterbrochen wurde; dann öffnete sich der Laden eines Fensters im oberen Stockwerk, und eine steinalte Frau schob den Kopf heraus.
    »Verpißt euch!« rief sie. »Ich habe kein Geld, kapiert?«
    Der Anführer sah rasch die Blätter auf seinem Klemmbrett durch. »Den Priestern zufolge hast du von deiner Rente zwei Denar und fünf Quadranten übrigbehalten«, sagte er.
    »Aber damit muß ich bis Januar auskommen.«
    »Pech«, erwiderte der Anführer – durchaus nicht unliebenswürdig; ihm machte das alles ganz offensichtlich keinen besonderen Spaß. Er war lediglich aufs äußerste entschlossen. »Dann hättest du nicht alles für Butter ausgeben sollen, nicht wahr? Mit einem Denar bist du dabei. Los, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
    »Haut ab!«
    »Hör mal, Oma«, ergriff ein anderes Mitglied der Gruppe das Wort, »wir wissen, wie hart das für dich ist, aber wir tun nur unsere Arbeit.«
    »Bist du das, unser Timon?«
    »Ja, Oma.«
    »Dann solltest du dich was schämen.«
    »Vorsicht, Oma!« warnte Timon sie. »Wir befinden uns gerade in der Zeit der Feindschaft, hast du das schon vergessen?«
    Jason wandte sich um. Zwar sah er seinen beziehungsweise seine Begleiter nicht, aber er drehte sich trotzdem um. In den Kreisen, in denen er verkehrte, wandte man sich eben um, wenn man jemandem etwas so sagen wollte, daß es niemand mithören konnte, fertig, aus.
    »Müßte jetzt nicht die Zeit der …«
    »Nein«, schnitt(en) ihm die Stimme(n) das Wort ab. »Sei still und hör zu!«
    »Hör mal«, rief der Anführer der Gruppe, »uns juckt es nicht, wenn du keine freiwillige Spende gibst, klar? Falls du die Götter beleidigen, von einem Blitz in Stücke geschlagen und den Rest der Ewigkeit am falschen Ufer des Styx verbringen willst, nur weil dir der Gedanke, ein paar Tage zu hungern, mehr bedeutet hat, als den ewigen Göttern deine Aufwartung zu machen …«
    »Schon gut, schon gut«, gab Oma nach, und kurz darauf war das Zurückschieben eines Riegels und ein leises Klingeln zu hören, wie es eine kleine Silbermünze beim Fallen in eine sehr volle Sammelbüchse hervorgebracht haben könnte.
    »Also, auf Wiedersehen, Oma«, sagte der Anführer. »Fromme Saturnalien!«
    »Ach, haut ab!«
    Die Gruppe latschte weiter die Straße entlang, und bald hörte Jason sie darüber singen, wie man fern in der Krippe, kein Bett in der Not, den gottlosen Thyestes fand, mausetot. Es schneite. Jasons empfindliche Nasenlöcher bemerkten den stechenden Geruch einer völlig unzureichenden Kanalisation; beziehungsweise, richtiger gesagt, einer völlig fehlenden Kanalisation.
    »Ein kurzer Ausflug in die Geschichte«, kündigte die Stimme oder die Stimmen an. »In unserer Welt erklärte der römische Kaiser Konstantin das Christentum zur Staatsreligion, und damit war die Verehrung der Götter vorbei. Doch in dieser Welt hat Konstantin nie gelebt. Hier hat kein konstantinischer Umschwung stattgefunden. Konstantins Vorgänger Diokletian blieb an der Macht. Nun war Diokletian sehr ordnungsliebend und achtete darauf, daß jeder an dem ihm gebührenden Platz war, und außerdem glaubte er an die Götter. Nach diesen Grundsätzen bildete er eine Regierungsform, die – in dieser Welt – funktioniert hat. Eintausendsiebenhundert Jahre später hat sich daran nicht viel geändert, vor allem weil niemand eine Notwendigkeit dafür gesehen hat. In Rom herrscht immer noch ein Kaiser – Severus der Dreiunddreißigste –, und die städtische Kanalisationstechnik ist im Anfangsstadium zum

Weitere Kostenlose Bücher