Liebling, Ich Kann Auch Anders
hinreißend aussah, sorgte mit ein paar anrührenden Fallbeispielen und persönlichen Appellen für Human Touch. So überzeugend, dass ringsum geschnieft wurde und ich mein Päckchen Papiertaschentücher durch die Reihe wandern ließ. Als kleine Rechtfertigungsgeste, weil ich mir in dieser Umgebung völlig deplatziert vorkam und der Überzeugung war, die anderen müssten mich auch so empfinden, was natürlich töricht war, denn sie verschwendeten sicher nicht mal den Bruchteil eines Gedankens an mich.
Eva und Leonardo jedoch machten ihre Sache gut. In Anbetracht der widrigen Voraussetzungen sogar glänzend!
Darauf tranken wir dann nachher auch noch ein paar Gläschen. Der Redakteur der Sendung war der Einzige, der mitkam. Zum Glück. Er war eindeutig der Sympathischste der ganzen Crew. Außerdem hätten wir ja sonst auch gar keine Gelegenheit bekommen, Sibylles Projekt zu forcieren. Nico – wir nannten uns natürlich alle beim Vornamen und waren per du – machte sich Notizen und sagte, das gehe sicher klar. Ihm sei es ohnehin recht, wenn öfter mal gescheite Leute in der Sendung auftauchten, die im Allgemeinen wegen der Zielgruppe schon recht flach gehalten wurde.
Mit dieser Äußerung stach er bei Leonardo natürlich in ein Wespennest, denn der vertrat die von vielen als antiquiert eingestufte Meinung, Fernsehen dürfte den Betrachtern niemals mit einer Absenkung des Niveaus entgegenkommen, sondern die Verantwortlichen seien moralisch verpflichtet, ihr hochwertiges Programm so zu gestalten, dass es auch für weniger Gebildete verständlich und spannend sei.
»Unsere Spannung besteht im Quotenspiegel des nächsten Tages und unsere Moral in unserer Attraktivität für die Werbekunden«, warf Nico etwas sarkastisch ein. »Qualitätsansprüche sind bei meinem Job eher ein Handicap … Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich auf der Suche nach etwas anderem bin.«
»Unsere Freundin vergisst du aber trotzdem nicht«, ermahnte ihn Eva angesichts ihres Versprechens.
Ich gebe zu, meine beste Freundin und ihr bester Freund sind zwar liebenswert, aber für manche Leute wohl auch etwas anstrengend. So legte ich mich besonders ins Zeug, um Nicos multiplen Frust auf ein niedrigeres Niveau abzusenken.
Als es um die Hotelreservierung ging, hatte Leonardo dem Sender gesagt, ein Doppelzimmer genüge für sie beide. Und als Eva ihm klarmachte, sie wolle natürlich mit mir in ihrer Wohnung übernachten, wirkte er gar nicht erfreut. Deshalb gefiel es ihm recht gut, als Nico vorschlug, zusammen ein Taxi zu nehmen, das zuerst die beiden im Hotel absetzte, dann mich heimbrächte und schließlich ihn. Nun wollten wir Leonardo vor Nico nicht in Verlegenheit bringen, doch verständigte ich mich natürlich mit Eva darauf, dass sie gleich in die Wohnung nachkäme. Deshalb konnte ich den lieben Nico schlecht noch auf einen Drink zu mir einladen. Also enttäuschten Eva und ich an diesem Abend die Erwartungen zweier hoffnungsvoller Männer. Aber da ich alle zum Frühstück am nächsten Morgen in Evas Wohnung einlud, was Nicos Optimismus wohl zunächst Nahrung gegeben hatte, kam ich mit meinem Gewissen recht gut klar.
Im Hausflur vor den Briefkästen – ich traute meinen Augen kaum – prallte ich fast mit Maledict zusammen.
»Was machst du denn hier um diese Zeit?«, entfuhr es mir etwas lauter als es die Erziehung meiner Mutter zugelassen hätte.
Er druckste herum und rang sichtbar um eine Erklärung. Hatte er sich etwa während unserer gemeinsamen Zeit Nachschlüssel zum Haus und zu Evas Wohnung anfertigen lassen? Und wenn ja – wozu? Kroch er vielleicht gelegentlich nachts, wenn ihn Krieglinde in die Kälte der Nacht entließ, im Arbeitszimmer unter, weil sie ihn in seiner WG auch nicht haben wollten? Möglich wäre es wohl. Ich gebe zu, dass ich nicht zu den Menschen gehöre, die nachts unter sämtlichen Möbeln und in allen Winkeln nachsehen, ob sich da jemand versteckt hat.
Machte er sich etwa heimlich an meinem Computer zu schaffen, spionierte mein Manuskript aus, oder kopierte er es gar, um es mit Krieglinde zu lesen? Alle erdenklichen Möglichkeiten schossen mir durch den Kopf – außer der einen: Sein Besuch galt gar nicht mir! Er galt lediglich meiner Wohnung, beziehungsweise der Praktikantin, die momentan darin wohnte.
Schon lustig, auf welche Art manche Leute Treue praktizieren. Sie wechseln die Frauen, bleiben aber dem Haus treu. Nett.
Andererseits barg die Geschichte für mich doch einen gewissen perfiden
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