Liebling, Ich Kann Auch Anders
Zeit noch nicht gereicht. Aber natürlich seien sie Männer, echte Männer und sie wüssten Frauen sehr wohl zu schätzen … – Sie blickten zwar recht vielsagend drein, äußerten ihre Geständnisse jedoch ganz freundlich und völlig unaufdringlich. Und dann betonten sie beide, sie würden sich glücklich schätzen, wenn die Damen wieder einmal in ihre Gegend kämen und ihnen – hier verteilte auch Alessandro seine Visitenkarten – vorher Bescheid sagten. Dann könnten sie ein Programm für sie ausarbeiten. Nun müssten sie aber leider wieder Termine wahrnehmen.
Sie verabschiedeten sich mit Küsschen auf die Wangen, winkten einander zu und trennten sich im angenehmen Gefühl spontaner Sympathie und liebenswürdiger Leichtigkeit.
Eva und Francis, von Prosecco und Wein zu so ungewohnter Stunde zusätzlich aufgedreht, bummelten durch die Stadt, besichtigten das Haus, in dem Dante lange gewohnt hatte, schauten sich noch ein paar Baudenkmäler an und betrachteten natürlich auch die Schaufenster. Francis sah viele Kleidungsstücke, die ihr gefielen und die sie gern anprobieren wollte, doch die Geschäfte pflegten die Siesta.
»Sei froh«, sagte Eva, »dann bleibt dir die Enttäuschung erspart, dass die ganzen eleganten Klamotten und Schuhe für kleinere und zierlichere Frauen als uns geschaffen sind …«
Aber als die Geschäfte schließlich wieder öffneten, war Francis nicht zu bremsen. Und sie fand auch einiges, was ihr passte, denn selbstverständlich sind Veroneser Läden auch auf Touristinnen eingestellt. So blieb am Abend der Hosenanzug im Schrank und Francis erlebte Aida in einer raffinierten Robe von Armani.
Was beide nicht für möglich gehalten hätten: Der zweite Abend in der Arena übertraf den ersten noch um ein Vielfaches. Wetter und Abendstimmung waren so zauberhaft wie am Vortag, doch die Kulisse, die Beleuchtung und die schauspielerischen Darbietungen stellten das Bisherige absolut in den Schatten. Die Nachfeier im Hotel dauerte dann auch etwas länger als am Vorabend.
Als die beiden ihren Zimmerschlüssel in Empfang nahmen, erfuhren sie, dass ein Herr Weizenegger schon mehrmals angerufen und um Rückruf gebeten habe.
»Ach, das ist jetzt zu spät«, behauptete Francis, die offensichtlich keine Lust hatte, sich aus ihrer Italienlaune in die deutsche Realität zurückzerren zu lassen. »Das erledigen wir lieber morgen auf der Fahrt.«
Wieder kuschelte sich Francis im Schlaf an Eva, die in dieser Nacht dennoch schlafen konnte. Als sie kurz vor halb neun erwachte, war sie jedoch allein im Zimmer. Sie vermutete Francis im Bad, doch als ihre Rufe unerwidert verhallten, sah sie nach. Keine Spur von Francis. Schließlich fand Eva einen Zettel: »Liebe Eva, bitte nicht erschrecken. Ich bin ausgegangen. Hoffe jedoch, bis elf zurück zu sein. Kuss, Francis«.
Eva wunderte sich nicht allzu sehr, denn sie hatte ja während der vergangenen beiden Tage hautnah miterlebt, wie sich die vornehm zurückhaltende Francis in ein lustiges, spontanes, zu allerhand Verrücktheiten bereites Wesen verwandelt hatte. Vielleicht hatte sie im Schatten des strahlenden Magnus dazu weder die Gelegenheit gehabt, noch Wert darauf gelegt, selbst ihre Fühler auszustrecken. Vom wohlerzogenen jungen Mädchen hatte sie sich zur angepassten und perfekt funktionierenden Frau an seiner Seite und zur vorbildlichen Mutter ihrer gemeinsamen Kinder entwickelt. Und nun, mit Ende dreißig, stellte sie verblüfft und fasziniert fest, dass es auch ein Leben außerhalb der wohl eingespielten Strukturen gab.
Was, wenn Eva ihr schon auf der Herfahrt die Wahrheit enthüllt hätte? Dann hätte Francis vielleicht auf eigene Faust ihren Urlaub verlängert, um Magnus einen Denkzettel zu verpassen – und sich selbst eine Freude zu bereiten. Sicher hätte eine solche Entwicklung im Sinne von Evas Vergeltungsplan gegenüber Magnus einen Erfolg dargestellt. Aber nur insofern, als es ihr gelungen wäre, ihm weh zu tun. Eva hatte jedoch andere Visionen. Sie stellte sich etwas Dramatischeres vor, etwas von größerer Tragweite. Gut, objektiv betrachtet hätte Francis’ Ausbüxen aus ihrem bürgerlichen Rahmen eine dramatische Dimension erreichen können. Einen Eklat für die Gesellschaft, in der sie verkehrte – falls es denn publik geworden wäre. Sie hätte nicht die erste fahnenflüchtige Familienmutter abgegeben, die sich angeblich in einer Klinik – und wenn es länger dauerte – im Sanatorium aufhielt. Aber dergleichen kam nicht infrage.
Weitere Kostenlose Bücher