Liebling, Ich Kann Auch Anders
Sender erhielt. Sie begann die Tage mit schwimmen im Pool, besuchte Museen und die Staatsoper, ging mit David ins Kabarett und erstand ein paar Schnäppchen in einem Laden für Designermoden aus zweiter Hand. David, der sich gerade nach einer etwas größeren und schöneren Wohnung umsah, lud sie ein, das nächste Mal bei ihm zu wohnen und versprach ihr, sie bald in München oder Konstanz zu besuchen.
Nach ihrer Heimkehr sah sie umgehend im Spezialpostfach nach, über das sie ausschließlich mit Marcel korrespondierte. Die Übersicht verzeichnete sieben Eingänge. Ihr Puls beschleunigte sich. Sie klickte auf Posteingang und registrierte mit tiefer Enttäuschung, dass es sich ausschließlich um Werbung handelte.
Drei Tage lang hatte Marcel sich nicht gemeldet! Und vorher mindestens dreimal am Tag. War er krank? Verreist? Tot? Oder noch schlimmer: ihrer überdrüssig? Sie las ihren letzten Schrieb kritisch durch, konnte aber keinen Anhaltspunkt für Äußerungen finden, die ihn beleidigt, vergrault oder abgeschreckt haben könnten. In der Nacht, nachdem sie mit Leonardo zu Abend gegessen und die Ereignisse der vergangenen Tage durchgekaut hatte, setzte sie sich an ihren Schreibtisch und verfasste einen besorgten Brief an Marcel.
Am nächsten Abend, nachdem sie zigmal nachgeschaut hatte, fand sie endlich eine Sendung von ihm im Postfach. Doch als sie die Betreffzeile las, gefror ihr das Blut. ›Schuld ist nur das Ypsilon‹, stand da. Der Titel ihrer Glosse. Ein kleiner Hoffnungsschimmer glomm auf: Vielleicht handelte es sich nur um eine Anspielung! Weil Marcel zufällig die Glosse gelesen oder die Sendung gesehen hatte, zitierte er nun vielleicht ihren Titel, der ihm gerade passend erschien. Schließlich war es eine beliebte Marotte von ihm, in seinen Mails mit den eigenen Unzulänglichkeiten zu kokettieren. Als sie die Post öffnete, war allerdings jedes Schlupfloch verstopft. Marcel hatte sie in der Sendung gesehen und an ihren Worten erkannt!
›Liebe Eva/Ariadne, verzeih die lange Auszeit, aber ich wurde in nicht mehr restaurierungsfähigem Zustand vom Feld getragen, denn es hat mich umgehauen. Im Virtuellen werde ich wohl eines Tages wieder spielen können, wenn ich das Härtungsbad überstanden habe und dein weises Herz wird es schon geahnt haben: Deine erwünschten Kriterien kann ich nicht erfüllen. Weder bin ich Mitte dreißig, noch strebe ich eine gesetzliche et cetera mit dir an, aber dies auch nur deshalb nicht, weil ich sonst in eine rechtliche Zwickmühle geriete. So verzeih meine Lust am Spiel, aber deine Zeilen waren so reizend provozierend, dass meine Finger einfach losspielten, und sich erst so spät meine frühe Ahnung bestätigen konnte. Ich lese von dir schon seit Jahren! Nur die verspielte Selbstverliebtheit in mein Wortgeklingel ließ meinen an sich wachen Verstand einfach außen vor. Und so werde ich dich denn auf der sunny side of the street aus dem Schatten beobachten. Denn ich liebe den Schatten. Er lässt mich klar sehen, und ich kann die Strahlen deiner Sonne besser ertragen. Verzeih meine Schwäche, aber ich bin halt nur ein glatthirniger Mann.‹
Der weitergeleiteten Mail des Plauderkönigs folgte eine verzweifelte von Eva. Ich hielt jedoch für einen Moment inne und ließ die Lektüre auf mich wirken. War es nicht zum Piepen grotesk? Nachdem das eigentlich Selbstverständliche eingetreten war, nämlich, dass er erfahren hatte, an wessen Adresse er seine Liebeserklärungen, Komplimente, Bekenntnisse und sonstigen Ergüsse abgesetzt hatte, wollte dieser seltsame Typ sich verdrücken. Das bewies für mich wieder einmal in aller Deutlichkeit das Widersinnige der Partnersuche per Internet. Das Pferd wird am Schwanz aufgezäumt. Bevor die Menschen herausfinden, ob sie sich überhaupt riechen können, tauschen sie bereits intimste Informationen aus, die jedoch weit weniger mit einer real existierenden Persönlichkeit zu tun haben als mit dem Wunschbild von einer Partnerin oder einem Partner, das die Leute in sich tragen.
Bei allernächster Gelegenheit wollte ich mit Eva darüber sprechen. Dann, wenn ich ihr auch dazu gratulieren würde, dass der Heini von sich aus eingesehen hatte, dass er nicht gut genug für sie war.
Doch als ich ihr Begleitschreiben zu Marcels ›Abschiedsbrief‹ las, wurde mir klar, dass dieses Unterfangen nicht gar so simpel sein würde.
›Liebe Eliza, nun, was sagst du dazu? Mir geht es grauenhaft! Ich fühle mich, als hätte er mich mit dem Knie in den
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