Liebling, Ich Kann Auch Anders
ausließ, verdankt sie die Einladung zu einer Gesprächsrunde im Fernsehen. Die Talkshow, die in Berlin aufgezeichnet wird, ist vermutlich die zigtausendste über den Themenkomplex der Beziehung zwischen den Geschlechtern, aber das Thema ist eben auch seit Menschengedenken aktuell. Und diese Sendung ist beliebt wegen der entspannten Gesprächsführung des Moderators und der zumeist gelungenen Mischung von Gästen. Ein Pfarrer, eine Ex-Prostituierte, ein Psychologe, eine Gymnasiastin und ein Medizinstudent sind mit Eva zu der Runde geladen. Sie weiß, dass wir in Gedanken bei ihr sind und ihr die Daumen drücken und natürlich zuschauen. Das leichte Zwinkern in die Kamera, als sie vorgestellt wird, gilt eindeutig uns. Kurz zuvor hatte sie noch angerufen und gestanden, sie kämpfe mit Nervosität und Magendrücken. Aber davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. Sie sieht toll aus und brilliert.
»Die wohnen doch alle im selben Hotel?«, erkundigt sich Sibylle.
»Vermutlich schon.«
»Dann hoffe ich, dass sie heute Nacht im Zimmer des Studenten landet – oder er in ihrem!«
»Warum das denn?«
»Weil ich vermute, dass es ihr verdammt guttäte, mal einfach so mit einem hübschen, jungen, potenten Typen zu schlafen. Ohne allen Ballast und weitere Verpflichtungen.«
»Das wird sie mit Sicherheit nicht tun.«
»Wieso? Der Typ wirkt wohlerzogen und ein bisschen verklemmt. Er wird sicher keine Indiskretionen begehen.«
»Sie wird’s nicht tun, weil neben magic Marcel kein Raum für einen anderen ist …«
Sibylle schüttelt den Kopf in gespielter Verzweiflung. Die Show ist in vollem Gange, aber lediglich wenn Eva spricht, kann ich ungestört zuhören. Von dem, was die anderen sagen, erreichen leider nur Satzfetzen mein Ohr, da Sibylle die ganze Zeit quasselt. »Sie sieht wirklich toll aus. Die Maskenbildnerin versteht ihren Job. Ich sag ja immer, Eva ist der Typ Juliette Binoche – aber eben mit verstärkt intellektuellem Charme. Doch warum – um Himmels willen – muss sie eine Brille auf die Nase setzen?«
»Wegen ihrer Augen.«
Eva hat hinreißend erotische dunkelgrüne Augen. Viele Männer fühlen sich direkt aufgefordert, wenn sie nur von ihr angeschaut werden. Sie hat mir anvertraut, das sei ihr sehr unangenehm. Und die Brille stelle zumindest einen gewissen Filter dar. Überdies verkleinern die konkaven Gläser ihre Augen ein wenig und entschärfen sie somit. Das heißt, sie schärfen zwar die Sicht, entschärfen aber den Eindruck. Kontaktlinsen haben eher den gegenteiligen Effekt. Eva hat alle Sorten ausprobiert, harte, weiche, superweiche und hyperdurchlässige. Aber mit Linsen muss sie mehr blinzeln, weil Bindehaut und Lider sie eben doch als Fremdkörper wahrnehmen. Oder sie reißt unbewusst die Augen zu weit auf, um zu vermeiden, dass ihre Lider die Linsenränder berühren. Beides führt sehr leicht zu Missverständnissen. Aber Sibylle hätte für dieses Argument natürlich kein Verständnis. Sie würde höchstens sagen: ›Männer – Wolken! Wenn es zu viele sind, musst du eben dafür sorgen, dass sie sich verziehen.‹ Deswegen sage ich auch weiter nichts.
»Haha, klar wegen der Augen! Wegen ihrer Kniescheiben wohl kaum …«
Ich sage: »Bscht!«, weil Eva wieder dran ist und ich zumindest ihr zuhören will. Mir ist bewusst, dass es Leute gibt, die alles Mögliche gleichzeitig können, sie essen, kopulieren, telefonieren, sehen dabei fern und wischen womöglich noch Staub oder lackieren sich die Fußnägel. Ich kann das nicht. Ich tu entweder das eine oder das andere. Und zwar mit Hingabe oder doch zumindest mit Konzentration. Und ich bilde mir ein, dass dabei dann auch ein gutes Ergebnis rauskommt. Aber vielleicht ist das ja nur eine Schutzbehauptung, weil ich eben nicht über die besondere Begabung des Multitasking verfüge. Sibylle isst Schokoschaumcreme (light), blättert in einer Illustrierten (sehr light), trinkt irgendein Eiweißgesöff (light), redet unablässig und sieht dabei fern.
Ich besitze selbst keine Glotze. Doch wenn ich mich – etwa in Evas Wohnung – zum Fernsehen entschließe, dann möchte ich es ungestört und mit voller Aufmerksamkeit tun. Aber das ist mit Sibylle nicht drin. So kämpfe ich drum, wenigstens Eva zuhören zu können.
»Erziehung, soziokultureller Erfahrungshintergrund, individuelle Fantasie – klar, das spielt alles eine Rolle«, sagt sie und nimmt damit offenbar Stellung zur Aussage des Psychologen. »Aber ich sage, es ist auch das
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