Liebling, Ich Kann Auch Anders
nicht mehr das Geschlecht ausschlaggebend für mich, sondern das Sujet. Von Fantasy, Horror und Science-Fiction lasse ich grundsätzlich die Finger. Damit kann ich nichts anfangen. Für meine Übersetzungen favorisiere ich Stoffe, die ich auch sonst gern lese. Am liebsten psychologische Beziehungsdramen und philosophische Betrachtungen. Aber auch gern amüsante Krimis oder erotische Satiren.
Früher, als ich noch davon träumte, eines Tages für meine Arbeit entsprechende Anerkennung zu finden, malte ich mir aus, ich könnte dann etwas kürzertreten, nur ganz wenige, wirklich ausgesuchte Romane bearbeiten, für die aber mehr Zeit investieren.
Doch nun werde ich mit Anfragen überschüttet. Auch ist mein Sozialprestige derart gestiegen, dass sich nun Leute, die mich vorher kaum eins Blickes würdigten, vor Freundlichkeit fast überschlagen und gebärden, als wären wir seit Langem eng befreundet.
Frau Servitzky, die Lizenzenfrau, ist auch eine aus dieser Truppe. Seit der Preisverleihung würdigt sie mich bei jedem Besuch im Verlag eines ausführlichen Monologs. Als ich das letzte Übersetzungsmanuskript ins Sekretariat brachte, lief sie mir gerade über den Weg und bat mich doch tatsächlich in ihr Büro. Ich dachte, es ginge mal wieder um ein Drehbuch, was mir schon ein wenig die Haare zu Kopf stehen ließ, denn Dialoge in Drehbüchern für Fernsehfilme sind selten gut und werden nie fertig. Aber es ging diesmal um eine weit größere Ehre: Ich sollte über das Schicksal eines jungen Autors entscheiden!
Als ich kapierte, worauf sie hinauswollte, stellte ich mich fest darauf ein, den Job abzulehnen. Gutachten werden fast ebenso schlecht dotiert wie Übersetzungen, bergen aber eine weit höhere Verantwortung. Ich habe jedoch keine Lust, das Richterinnenschwert zu schwingen. Wie schon erwähnt, bin ich meiner Mutter dankbar, dass sie mir beigebracht hat, nein zu sagen. Sie ist seit Jahrzehnten die renommierteste Klavierlehrerin unserer kleinen Stadt. Seit ich als fatale Folge ihrer möglicherweise einzigen schwachen Stunden das Licht der Welt erblickt hatte. Ohne mich wäre sie natürlich Konzertpianistin geworden, wozu sie auf dem besten Weg war, als mein Vater bei einem Kammerkonzert für den erkrankten Geiger einsprang. So wurde sie also Klavierlehrerin. Aber keine, die jedes Kind unterwies, bloß weil die Eltern sich einbildeten, ihr Kind müsse ein Instrument spielen. Sie suchte sich die Kinder aus. Wer unbegabt war oder faul, wurde wieder heimgeschickt. Erbarmungslos. Lieber mutete sie sich und mir ein karges Leben zu, als sich mit Schülerinnen und Schülern rumzuärgern, die sie für unwürdig befand. Ihre Zöglinge gewannen denn auch alle möglichen Preise. Und so galt es allmählich als Privileg, wenn Frau Isolde Deyke sich herbeiließ, ein Kind in den Kreis ihrer Auserwählten aufzunehmen.
Also, ich habe gelernt, nein zu sagen und auch erfahren, dass es ziemlich befriedigend sein kann, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen. Nur leider kann ich es mir aus wirtschaftlichen und emotionalen Gründen eher selten leisten.
»Der Autor ist übrigens gerade im Hause. Sein Drucker ist angeblich kaputt gegangen. Jetzt druckt er die Datei im Verlag aus und macht sich auch noch eine Kopie.«
Servitzkys spöttisches Grinsen und die hochgezogenen Brauen gaben mir zu verstehen, sie durchschaute wohl, dass der Mensch Kosten sparen und obendrein womöglich noch eine Tasse Kaffee schnorren wollte.
»Ist doch ein netter Zufall. Dann kann er Ihnen sein Manuskript direkt selbst aushändigen.« Sie griff zum Telefon.
Auch ein noch so netter Zufall würde aus vier Buchstaben keine zwei machen. Ich war fest entschlossen, abzusagen.
Und dann klopfte es. Benedict Hanner trat ein, schloss die Tür hinter sich und stand im Raum. Er hielt eine braune, sehr abgegriffene und gründlich patinierte Aktenmappe unterm Arm, einen Stoß Papier (ich schätzte rund dreihundertfünfzig Seiten) in der Hand und blickte verlegen zu Boden.
»Kommen Sie rein, mein Lieber, wir haben gerade über Sie gesprochen. Frau Deyke, das ist das junge Talent. Das heißt, ich hoffe, Sie werden unseren Riecher bestätigen und Herrn Hanner als ein solches einstufen!« Damit wollte das Biest also mir den Schwarzen Peter zuschieben.
Herr Hanner hieß Benedict. Dass er denselben Namen wie der Papst tragen würde, war bei seiner Geburt nicht abzusehen, aber das Monogramm! B.H. – Manchmal wundere ich mich schon darüber, was Eltern ihren Kindern mit dem
Weitere Kostenlose Bücher