Liebling, Ich Kann Auch Anders
stolze Rathaus mit vorgebautem Turm zu, auf dessen linker Seite ein Tor zum See hin führt. Sie schoben die Räder durchs Tor und blickten auf den Landesteg, an dem gerade ein Schiff anlegte. Dort stellten und schlossen sie die Räder ab und sahen sich um. Ostwärts erhob sich direkt am Wasser eine kompakte Renaissanceburg mit zahlreichen Türmen. Westwärts erstreckte sich die Seepromenade, die in eine Parkanlage mündete. Die alte Stadtmauer war noch deutlich zu sehen, auch wenn sie zum Teil die Rückwand eines Hauses oder Bestandteil eines anderen Bauwerks abgab. So war die Hochterrasse des Restaurants ›Schwanen‹ mit der Mauer verbunden, die an dieser Stelle ebenso rosa angestrichen war wie das schmucke Barockgebäude daneben.
Eva sah die aufgespannten Sonnenschirme und forderte Leonardo auf, nachzusehen, ob geöffnet sei. Sie hatten Glück, ließen sich an der Stadtmauer nieder und wurden auch umgehend von einem sehr freundlichen Ober nach ihren Wünschen befragt.
Eva blickte um sich und strahlte. »Ich kann verstehen, dass es dir hier in der Gegend gefällt! Wir sind grad mal eine Stunde gefahren, und ich fühle mich schon wie im Italienurlaub.«
»Das kannst du jetzt öfter haben. Mit mir. Wenn du übrigens mit deinem Freund aus Berlin eine Tour unternehmen willst, kann er gern mein Rad benutzen«, bot Leonardo an.
»Lieb von dir, aber David bringt sein eigenes im Zug mit.« Sie schaute ihn von unten herauf an. »Leonardo, ich muss dir was beichten …«
Bevor sie weiterreden konnte, trat der Ober an ihren Tisch und nahm die Bestellung auf. Kaffee für Eva, Ovo für Leonardo und Käsekuchen für beide. Sie blickten beide eine Weile stumm über den schmalen Untersee. Einige Segelboote waren zu sehen, Surfsegel, Motorboote und ein Passagierschiff.
»Das ist das Kursschiff. Es hat gerade in Steckborn abgelegt, fährt jetzt nach Gaienhofen. Da drüben, das andere Ufer, das ist die Halbinsel Höri. Das Schiff kommt dann wieder an dieses Ufer zurück, legt in den letzten beiden Orten an, durch die wir geradelt sind, und dann fährt’s zur Insel Reichenau. Da müssen wir auch bald mal hin. Die Insel ist Weltkulturerbe.« Er hielt inne. »Ich spiele hier ja den Fremdenführer. Aber du wolltest mir was beichten …«
»Äh … ja!«
»Also, dann mal los.«
»Sagt dir der Name Detlef Tiger was?«
»Klar, das ist der Typ von Wollis chaotischem Liebesleben.«
»Genau.«
Der Ober brachte die Getränke und den Kuchen. Zuerst setzte er die schaumige Milch vor Eva ab, doch sie stellte richtig, dass der Kaffee für sie sei.
»Tja, Kaffee scheint ein männlicheres Getränk zu sein als deine Ovo«, bemerkte sie grinsend.
Leonardo riss den kleinen Beutel auf, ließ das Ovomaltinepulver in die Milch rieseln und rührte, bis eine gleichmäßige hellbraune Farbe zustande kam.
»Also, was ist mit Detlef Tiger? – Kennst du ihn etwa?«
»Ja, äh … gewissermaßen. Den Illustrator kenne ich übrigens auch.«
»Ehrlich? Der ist ja auch klasse? Und warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich hatte Schiss.«
Leonardo sah sie einen Moment nachdenklich an. Dann schien der Groschen zu fallen. »Du? Du!«, rief er und seine Stimme überschlug sich fast.
Eva nickte stumm.
»Kein Wunder, kam mir das alles so bekannt vor. Du hast mein Unglück ausgebeutet, du Kanaille!«
Sie fühlte sich absolut mies. Ihr war fast übel vor schlechtem Gewissen. Leonardo sah sie grimmig an. Dann aber lachte er laut los.
»Find’ ich klasse, find’ ich echt klasse! Also, jetzt kenne ich auch Detlef Tiger. Und wann lerne ich den anderen kennen?«
»Morgen. Mein Berliner Freund ist David de Marco, der Illustrator.«
»Hexe! – Weiß er Bescheid?
»Nein, du kannst es ihm gern selbst offenbaren. Es wird ihn über die Maßen amüsieren.«
7
Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich nun einige Seiten lang etwas weniger mit meiner Freundin beschäftige und Ihre Aufmerksamkeit auf mein eigenes Leben lenke. Es ist nämlich etwas ganz Entscheidendes passiert, das zahlreiche Konsequenzen nach sich zieht.
Ich bin verliebt! Ich habe einen jungen Mann kennengelernt. Im Verlag. Servitzky war der Meinung, ich sollte sein Manuskript lesen, man überlege sich, ob man ihm eine Chance geben wolle. Seit ich den Übersetzerpreis gewonnen habe, nimmt die Frau mich doch tatsächlich zur Kenntnis. Deshalb kann ich sie aber kein bisschen besser leiden als zuvor. Sie ist eine machtbesessene, stutenbissige Modepuppe (Mode für die reifere
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