Liebling, Ich Kann Auch Anders
Beine schließen ließen.
Worin aber bestanden die wahren Gründe, die ihn die ganze Zeit davon abgehalten hatten, ihr unter – oder vielmehr vor – die Augen zu treten? Hatte er ein verunstaltetes Gesicht? War er verkrüppelt? Oder prominent? Ein Politiker vielleicht, der als Oberhaupt einer Modellfamilie im Lichte der Öffentlichkeit stand? – Oder ein geistlicher Würdenträger? Dafür könnte das Jesuiten-Internat ein Hinweis sein.
Eva überlegte, ob sie damit Probleme hätte, falls sie beide trotz allem den schon so eifrig gesponnenen erotischen Faden wieder aufnehmen, weiterspinnen und daraus ein Netz weben sollten.
Eher nicht. Mit Familienvätern hatte sie so ihre Erfahrungen. Mehr als die Hälfte der Ehemänner ihres Bekanntenkreises hatten ihr bereits Avancen gemacht. Diese Männer hatten es mit Sicherheit vorher oder nachher auch bei anderen probiert und waren bestimmt im einen oder anderen Fall auch ans Ziel gelangt. Vor Jahren hatte Eva Sibylle ihre Gewissensbisse wegen eines liierten Mannes anvertraut.
»Wenn sonst alles stimmt – warum nicht? Tust du’s nicht, dann tut’s ’ne andere«, war Sibylles trockener Kommentar.
»Dieses Argument muss meiner Meinung allzu oft als moralische Rechtfertigung für Verstöße gegen geltende Regeln herhalten«, hatte Eva protestiert.
Sibylle hatte nur gelacht. »Du bist erschreckend naiv und siehst das völlig falsch! Wenn der Mann dir wirklich gefällt, dann tust du weder dir noch ihm einen Gefallen, wenn du entsagst, sondern einer unbekannten Dritten, die ihn dann möglicherweise auch noch übel linkt.«
»Du meinst also, ich täte nicht nur nichts Verwerfliches, sondern vollbrächte am Ende sogar ein gutes Werk?«
»Ja, klar, denn du bist eine anständige Person und du wirst dafür sorgen, dass die Geschichte nicht aus dem Ruder läuft.«
Eva hatte die Freundin ausgelacht und – ihrem Gewissen folgend – verzichtet. Ein gutes Jahr später, als sie ihren verschmähten Verehrer bei einem Empfang traf, waren Sibylles Prophezeiungen auf drastische Weise eingetroffen. Die Ehe ihres abgeblitzten Bewerbers war tief gestört, und eine schöne junge Frau, mit der er überhaupt nicht zurechtkam, erwartete von ihm ein Kind, das er nicht wollte.
Beim nächsten Mal zierte Eva sich weniger (tat ein lang anhaltendes gutes Werk), obwohl sie von Ehemännern aus dem Freundeskreis grundsätzlich die Finger ließ.
»Sag mal, bist du verheiratet oder etwa Priester?«, fragte sie Magnus, als er endlich einmal eine kurze Atempause einlegte.
»In gewissem Sinne beides …«
»Ah ja, vielleicht einer von den geistlichen Würdenträgern, für deren Sprösslinge die Sancta Ecclesia aufkommt? Wie war das – für bis zu drei Kinder zahlt die Kirche? Alles, was darüber hinausgeht, müssen die Priester selbst finanzieren.«
»So ist es geregelt. Aber ich habe nur zwei Kinder und ein Mönch bin ich nur im ideellen Sinne – gelegentlich, wenn ich meine kontemplative Phase erlebe. Ansonsten bin ich ordentlich verheiratet. Sicher kein vorbildlicher Familienvater, aber doch zumindest ein verträglicher.«
Nun wusste sie es also sicher, aber es erschütterte sie kaum. Vielmehr wuchs mit jeder weiteren Viertelstunde, die das Gespräch andauerte, ihr Wunsch, Magnus endlich richtig kennenzulernen.
Ihm schien es ähnlich zu gehen. Er bat sie nämlich plötzlich nach einem spontanen Gedankensprung, sich über Ort und Zeitpunkt Gedanken zu machen. Das hatte sie bereits mehrmals getan. Bei schönem Wetter konnte sie sich keinen geeigneteren Treffpunkt vorstellen als Steckborn, wo sie kürzlich mit Leonardo Kaffee getrunken hatte.
»Donnerstag nächste Woche – bei der Schiffslände in Steckborn«, schlug sie vor.
Er war zwar etwas verdutzt über die prompte und überaus präzise Angabe, doch sehr wohl einverstanden. »Halb drei?«
»Um drei. Und zwar auf der Promenade links neben dem Landesteg.«
»Das war das Erste, was mich an dir fasziniert hat: Du weißt, was du willst.«
»Danke. – Aber falls das Wetter weiterhin so grausig bleibt, treffen wir uns in der Lobby des ›Chlosterhofs‹ in Stein am Rhein.«
Auch für diesen Vorschlag bedachte er sie mit Komplimenten.
Als sie schließlich das Gespräch beendeten, waren sie einander um ein weit größeres Stück näher gekommen als während der letzten vier Wochen ihres Mailverkehrs.
›Liebste Eva, aus meiner stockenden Rede mochtest du schließen können, wie atemlos du mich machst, und wie wenig ich dir sagen
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