Liebling, Ich Kann Auch Anders
der Große. Für Eva war er in dem Moment Maximus – der Größte. Sie druckte die berauschenden Zeilen aus, las sie noch ein paar Mal, faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Hosentasche. So konnte sie es immer wieder herausnehmen, falls ihr Zweifel kommen sollten.
›Diesmal kein Entkommen! Und vielleicht wirst du hinterher intensiv hoffen …‹, antwortete er auf ihre Frage, ob dies lediglich eine neue Strophe des bekannten Wankeltangos sei. Und dann kam noch eine Ankündigung, die zwar vage gehalten war, sie aber begeisterte, weil sie auch darin ein Zeichen seines Abrückens vom rigiden Standpunkt erkannte. ›Der akustische Kontakt ist nicht so einfach, wie du dir das in deinen klaren, geordneten Verhältnissen vorstellst. Also, lass dich überraschen, was mir einfällt!‹
Mit Überraschungen aufzuwarten war ja ohnehin Programm. Herr Magnus ließ sich allerdings Zeit. Drei weitere Tage. Und dann meldete er sich, um vier Uhr nachmittags, als Eva gerade über einer Glosse saß, einem Plädoyer dafür, dass die Männerwelt endlich den wagemutigen Vorstößen der Couturiers und Designer Folge leisten sollte, die sich seit Jahren ohne wahrnehmbaren Erfolg bemühten, Röcke für Männer zu lancieren.
›Zeig mir deine Waden, Großer!‹, lautete ihre Aufforderung. Dieser Appell richtete sich zu allererst an die Männer, die Nachthemden trugen. ›Tut’s nicht nur bei Nacht und unter der Decke! Gönnt auch mal fremden Frauen freche Freuden!‹
Sie grinste sich im Spiegel an, der stets vor ihr auf dem Schreibtisch stand, um sie davon abzuhalten, allzu ernst dreinzublicken. Als das Telefon klingelte, hob sie den Hörer ab und nannte etwas traumverloren ihren Namen.
»Mhmm, ja, mhmmm – hier ist … äh … Magnus.«
»Magnus!!! Wie schön, dass du dich meldest!«
Obwohl sie sich zigmal vorgestellt hatte, wie sie reagieren würde, wenn er endlich anriefe, empfand sie überhaupt keine Befangenheit, was sicher auch daran lag, dass ihr Humor in Bezug auf ihn und seine Äußerungen wiedergekehrt war, seit er ihren Kummerbrief so liebenswürdig beantwortet hatte.
Sie lauschte in den Hörer hinein und nahm begierig den Klang seiner Stimme auf. Weder stotterte er, noch verfügte er über eine Fistelstimme. Ganz im Gegenteil: Diese Stimme war sonor, klang tief, dennoch recht jung und dabei sehr erotisch. Und Magnus’ Sprache war klar und sehr kultiviert. Trotzdem hielt er mehrmals inne, als müsse er sich sammeln, seine Gedanken neu ordnen. Lachend gestand sie ihm, sie habe sich alle möglichen Erklärungen dafür ausgedacht, warum er nicht mit ihr sprechen wollte. Aber nun sei sie so angenehm überrascht, dass sie ihm stundenlang zuhören könnte.
Das schien er dann durchaus wörtlich zu nehmen, denn das Gespräch dauerte tatsächlich länger als zwei Stunden. Er sprach über seine Kindheit, die strenge Mutter, die Jugend im Internat bei den Jesuiten, Literatur, Gesellschaftsklatsch und vor allem über ihre Korrespondenz. Er überschüttete sie mit Komplimenten, und sie hätte sich am liebsten wie eine Katze auf dem Boden gerollt und sich in seine Worte wie in eine wärmende Decke eingehüllt. Zwischendurch ließ er ein paar Beschreibungen seiner angeblichen Unvollkommenheit einfließen, meinte, er sei zwar immerhin einen Zentimeter länger als sie, dafür aber doppelt so tief. Als sie nach der Farbe seiner Augen fragte, gab er an, von seinen Augen sei ohnehin nichts zu sehen.
»Aha, oben Schlupflieder und unten Tränensäcke?«, mutmaßte sie lachend und war überzeugt, er grinse vor sich hin, als er ihre Vermutung vage bestätigte. Sie wurde richtiggehend euphorisch, weil er sich im Gespräch als ebenso witzig erwies wie in seinen Briefen. Als sie nach seiner Haarfarbe erkundigte, meinte er, die könne sie sich aussuchen. Er trage Toupets in allen Schattierungen. Zwar glaubte sie ihm keine seiner schamlosen Übertreibungen, rechnete aber schon damit, dass sie zumindest ein Körnchen Wahrheit enthielten. Dennoch humpelte das kleine, alte, fette, glatzköpfige, hässliche Männlein wieder ein Stück weit in den Hintergrund zurück, aus dem es ihre Zweifel, Befürchtungen und Ahnungen hervorbeschworen hatten.
Dieser Mann am anderen Ende der Leitung war nicht alt. Und klein auch nicht. Als er einmal den Raum durchmaß, um den Hund zur Terrassentür hereinzulassen, hörte sie seine Schritte auf dem Parkett. Es waren schlaksig-träge Schritte, die auf zwei gleichmäßige, normal bewegliche, lange
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