Liebling, Ich Kann Auch Anders
Minuten zu spät – mit ein paar männlichen Gestalten in ihrem Schatten, die sich allerdings verflüchtigten, als wir uns umarmten.
»Sibylle, du siehst umwerfend aus!«, rief ich spontan, und die Blicke der Betrachter, die das mitbekamen, bestätigten meine Aussage. Herrlich gebräunt, mit strahlenden Augen, makellosem Teint und souveräner Gelassenheit, die mir fast die Tränen in die Augen trieb, machte sie diesen klaren Sommertag noch heller und heiterer. Jede andere hätte ich gefragt, ob sie verliebt sei, aber bei Sibylle konnte ich davon ausgehen, dass sie selbst über die Quellen verfügte, die ihr solchen Glanz verliehen. Deswegen nahm ich mir fest vor, mich dieses Mal willig ihren Ratschlägen zu unterwerfen.
Mit der Entschuldigung, sie habe noch nicht gefrühstückt, bestellte sie einen doppelten Diät-Eisbecher. Dann erzählte sie von ihrer Mission in dem fantastischen Kurhotel an der bretonischen Küste, die in jeder Beziehung von Erfolg gekrönt gewesen war.
»Wenn die Lady meine Ratschläge befolgt, holt sie mindestens ’ne Million mehr raus als ihr Mann jetzt zu zahlen bereit ist …«
Ich machte große Augen.
»Wenn sie bloß mal früher zu mir gekommen wäre, bevor sie zum Anwalt gerannt ist und der Alte Wind davon bekam, dass sie abhauen wollte – da wäre ein Mehrfaches drin gewesen!«
»Aha, sehe ich das richtig, wenn ich annehme, dass du dein berufliches Engagement in Zukunft auch auf das Gebiet der Scheidungsberatung ausdehnen wirst?«
Sie lächelte maliziös. »Das wird wohl nicht ausbleiben. Frau Finke, meine Klientin meinte, allein in ihrem Freundinnenkreis gebe es mindestens fünf Damen, die sich brennend für meine Kompetenzen interessierten. Und jede von denen kennt wieder ein paar weitere … Tja, dann kann ich gleich Seminare durchführen. Selbstverständlich ausschließlich in Verbindung mit Thalasso-Kuren. Das ist genial und potenziert die Wirkung. Frau Finke ist als Häufchen Elend mit mir gestartet und als dynamische attraktive Erscheinung zurück gekehrt.«
»Ich hoffe, bei solchen vorteilhaften Scheidungen bekommst du ein Erfolgshonorar!«
Sie zwinkerte. »Mach dir da mal keine Sorgen!«
»Berätst du auch Männer in Sachen Scheidung?«
»Wenn sie mich überzeugen können.«
»Wovon?«
»Dass ich der Gerechtigkeit diene …«
Jetzt lachten wir beide. Sibylle als Justitia – das wäre ja was ganz Neues. Im Recht ist, wer sich an sie wendet und sie ordentlich entlohnt. Basta.
Und nun hatte ich das auch getan. Sie bestand darauf, auf dem Marienplatz ein paar Fotos von mir zu knipsen. Als ich auch welche von ihr aufnehmen wollte, lehnte sie jedoch ab. Sie schleppte mich zu ihrem Friseur, bei dem sie einen Sondertermin erwirkt hatte, indem sie ihn wissen ließ, ich sei eine aufstrebende Künstlerin. Ich durfte auf einem eher schicken als bequemen Stuhl Platz nehmen, und die beiden besprachen mein Styling. Dabei griffen sie recht hemmungslos in mein Haar und zupften daran herum, wie es ihnen gerade in den Sinn kam. Dann trat Sibylle zurück und der Meister machte sich über mich her. Das ging schnipp, schnipp, schnipp, schnapp und wenige Minuten später lag etwa die Hälfte meines Schopfes am Boden. Und ich hatte eine fransig-zipfelige Frisur, die mir wider Erwarten gut gefiel, weil sie mir einen frechen jugendlichen Anstrich verlieh. Der Star-Figaro lächelte huldvoll, als er sah, dass ich angetan war. »Die Strähnchen soll Alberto machen. Also ciao, ihr Süßen!«, sprach er und entschwebte auf seinen ›Todds‹.
Kurz darauf trat ein hübscher Südländer mit viel Goldbehang zu uns her und bat uns in einen anderen Teil des Etablissements. Sibylle diskutierte mit ihm, ob blonde oder rote Strähnchen besser wären. Sie war für blond, der Meister für rot. Ich auch. Alberto verhielt sich diplomatisch und professionell. Er meinte, beides sei gut, Hauptsache, mein Haar würde farblich überhaupt aufgepeppt. Dabei ließ seine Miene keinen Zweifel daran, dass ich im aktuellen Zustand eine Beleidigung für sein ästhetisches Empfinden darstellte.
»Also, dann fangen wir mal mit rot an«, meinte Sibylle konziliant. Sie schaute auf die Uhr. »Um halb fünf hole ich dich hier ab. – Geht das klar?«, fragte sie Alberto in einem Ton, der gewiss nicht zum Widerspruch animierte.
»Sind Sie wehleidig?«, fragte der Schönling an mich gewandt und ich verneinte natürlich.
»Warum?«
»Es gibt zwei Methoden, Strähnchen zu machen. Die eine tut ein bisschen weh, aber
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