Liebling, Ich Kann Auch Anders
nicht zu fassen! Wenn Sibylle von einem Mann zum Fischessen eingeladen wird, dann ist völlig klar, dass das Mahl mit Austern und Champagner beginnt, mit Jakobsmuscheln, Hummer und besten Weinen fortgesetzt wird und auch sonst kein kulinarischer Luxuswunsch unerfüllt bleibt. Ich hingegen bekam eine lächerliche Thunfisch-Pizza aus der Tiefkühltruhe vorgesetzt. Aber ich bin ja auch nett zu den Typen, während Sibylle sie schlecht behandelt.
In majestätischer Grazie erhob ich mich, holte meinen Gavi aus meinem Kühlschrank, ein Glas aus meinem Hängeschrank, nahm den Korkenzieher aus der Schublade und entkorkte die Flasche. Das Wasserglas, in das Charly seinen angebrochenen Pfälzer gefüllt hatte, schob ich zu ihm hin. Ebenso den Teller mit dem parallel drauf gelegten Besteck. Charly guckte mich entgeistert an. Ich goss Gavi in mein schönes Stielglas und trank einen Schluck. Zum Wohl, Eliza!
»Hast du keinen Hunger?«, erkundigte sich Charly, der tüchtig reinhaute. Er gehörte übrigens nicht zu dem von Sibylle ausgemachten geringen Prozentsatz der Männer, die korrekt mit dem Besteck umgehen.
»Doch«, sagte ich und trank noch einen Schluck. Diesmal auf Sibylle, die der Ansicht ist, beim ersten Beisammensein müssten die Weichen in die gewünschte Richtung gestellt werden. Und dann wählte ich, Tochter meiner stolzen Mutter, die eher verhungert wäre, als Kompromisse gegen ihr Stilempfinden zu schließen, meine Worte sehr behutsam, doch äußerst präzise. »Ich habe sehr wohl Hunger, aber ich habe festgestellt, dass es für meine Persönlichkeitsentwicklung von Nachteil ist, wenn ich mich zu tief unter meinem Niveau abspeisen lasse.«
Sibylle hätte mir jetzt ein feines Lächeln geschenkt und Mutter selbstzufrieden genickt. Charly guckte und schluckte.
Mir war klar, dass er sein Verhalten völlig normal fand. Schließlich sah er in mir ja nicht die Frau seiner Wahl. Die hätte er vermutlich in ein angenehmes Lokal eingeladen, um ihr zu imponieren und sich mit ihr zu zeigen. Mit mir jedoch wollte er hinter verschlossener Tür verkehren. Er betrachtete mich wohl lediglich als eine Art Pannenhilfe, die bestens geeignet wäre, kurzfristig seinen Notstand zu beheben, bis entschieden wäre, ob er in der Stadt bliebe. Vielleicht wollte er sich auch noch über eine angeknackste Beziehung aussprechen und, weil es doch so praktisch wäre, nach dem Seelenleben auch noch sein Sexualleben von mir sanieren lassen.
Frauen, die sich auf dergleichen Arrangements einlassen, sind den betreffenden Männern (ich spreche aus leidvoller Erfahrung!) oft lediglich ein Minimum an zeitlichem und materiellem Aufwand wert. Einer Frau, die er erobern will, zeigt ein richtiger Kerl nicht seine Schwachstellen. Vor der mimt er den strahlenden großzügigen Helden.
Charly trank genüsslich von seinem billigen Wein und setzt das Glas in hohem Bogen wieder ab. Dann teilte er mir in einer Mischung aus Verwunderung und Überzeugung mit, ihm schmecke die Pizza ausgezeichnet. Woran er weder optisch noch akustisch den geringsten Zweifel aufkommen ließ.
Um das klarzustellen: Ich halte Pizza nicht etwa für ungenießbar. So ein Diskus aus dem Eis mag ja eine praktische, billige und nahrhafte Lösung sein, wenn es für nichts anderes reicht. Aber wenn ich jemanden zum Essen einlade, dann fahre ich doch keine Notstandsnahrung auf.
Doch aus Charlys Sicht war das natürlich nur konsequent. Nach ein paar weiteren Mundfüllungen bot er mir als Alternative Hefezopf aus dem Supermarkt an, den ich natürlich auch ablehnte. Mit schuldbewusstem Augenaufschlag brachte er sein Bedauern zum Ausdruck und tat mir schon fast ein bisschen leid, weil ich so hart zu ihm sein musste. Dabei hatte das Ganze mit ihm gar nicht so viel zu tun. Er hatte mit seiner Zumutung lediglich das Fass zum Überlaufen gebracht, das von anderen bis zum Rand gefüllt worden war. Es war allein mein Problem, dass keiner was dabei fand, wenn er mich drittklassig abfertigte. Und ich hatte bislang viel zu viel geschluckt. Aber das würde sich ändern. Sobald Sibylle zurück wäre, würde ich mir eine Image-Beratung gönnen.
Natürlich verabschiedete ich mich trotz allem ganz lieb von Charly. Allerdings auch ziemlich schnell. Schließlich war ich ja hungrig. In Evas Küche warf ich den Backofen an, um ihn vorzuheizen. Nein, natürlich nicht für eine Pizza! Wo denken Sie hin? Ich schnitt zwei Vollkornbrötchen auf, bestrich sie mit Tomaten-Basilikum-Paste, legte
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