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Liebling, Ich Kann Auch Anders

Liebling, Ich Kann Auch Anders

Titel: Liebling, Ich Kann Auch Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Kast-Riedlinger
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von Magnus. Ja, guck nicht so! Er soll einer der besten der Stadt sein. Deshalb sehe ich kein Problem, mich für die ohnehin gerade fällige halbjährige Dentalhygiene in seine Praxis zu begeben.«
    »Aber das macht doch sowieso eine Mitarbeiterin.«
    »Schon, aber du weißt ja, wie das läuft bei Privatversicherten. Da kommt doch immer der Chef auf ein Wort und einen Blick herein.«
    »Was führst du im Schilde?«, fragte ich alarmiert.
    »Du liebe Zeit, mach dir bloß keine Sorgen. Du kannst sehr gern mitkommen, wenn du magst.«
    Das ließ ich natürlich schön bleiben. Stattdessen spazierte ich gegen elf zu Sibylle, die sehr dekorativ – mit Sonnenhut und im edlen violetten Seidenkleid – an einem Tisch auf der Hotelterrasse Platz genommen hatte, wo sie mit einem Luxusfüller Ansichtskarten schrieb. Vor ihr türmte sich bereits ein beachtlicher Stapel auf. Das ist ihre Art, sich auf angenehme Weise bei ihrer Klientel und ihrem Freundeskreis in Erinnerung zu bringen. Ich muss gestehen, ich freue mich auch immer über ihre Grüße aus allen Himmelsrichtungen.
    »Und wie war das Frühstück?«, erkundigte ich mich, nachdem, wir uns mit Wangenküsschen begrüßt hatten.
    »Exzellent und erfolgreich. Ich habe einen Südafrikaner kennengelernt, der demnächst auch nach München kommt. Er bedarf dringend einiger Tipps für den Umgang mit deutschen Geschäftspartnern und deren Gemahlinnen … – Aber wo ist Eva? Ich dachte, ihr kämt beide.«
    »Gleich. Sie ist gerade beim Zahnarzt zur Prophylaxe.«
    »Oh, sei bloß still, ich habe auch kürzlich eine Erinnerung für einen Check bekommen. Ich hasse diese Ultraschall-Tortur an meinen Zahnfleischrändern!«
    »Wer nicht? Aber es ist halt gelegentlich nötig.«
    Der Ober nahte, und während ich noch überlegte, worauf ich Lust haben könnte, bestellte Sibylle zwei Gläser Champagner. Doch sogleich korrigierte sie sich: »Bringen Sie lieber eine Flasche – und drei Gläser.« Dann fragte sie mich lachend in mein verwirrtes Gesicht: »Ist es nicht eine alte Säuferregel, dass man am besten damit anfängt, womit man in der Nacht zuvor aufgehört hat?«
    Ich sah keinen Grund, ihr zu widersprechen. Im Gegenteil. Seit sie es erwähnt hatte, fand auch ich, Champagner sei genau das richtige Getränk der Stunde. Obwohl ich sonst eher die These vertrete, Alkohol bekomme mir erst nach Sonnenuntergang. Aber Champagner steht ja eher für Lebenslust als für Alk.
    »Allzu oft erlauben wir uns schließlich nicht die Verrücktheit eines spontanen Urlaubs.« Sibylle grinste. »Dabei sollten wir das viel öfter tun. Schau dich um. Ist es hier nicht paradiesisch?«
    Mein Blick glitt über die höher gelegte Terrassenanlage, die Uferpromenade, den See, die vielen Segelboote, das gegenüberliegende Schweizer Ufer und schweifte dann zum Konstanzer Hafen, an dessen Einfahrt sich die üppige Kolossalstatue der Imperia dreht, eines der zahlreichen provokanten Werke des Skulptur-Satirikers Peter Lenk. Weiter über das Panorama der Stadt mit ihren vielen Kirchtürmen und das Inselhotel, das aus dieser Perspektive quasi der Altstadt vorgelagert ist. An Sibylles Stelle wäre ich ja dort abgestiegen, in dieser Anlage mit unglaublich reichem historischem Hintergrund. Die Insel hatte seit dem dritten Jahrhundert eine eminent wichtige Rolle gespielt. Sie bot zunächst einem römischen Kastell Raum, dann einer Merowingerburg, wurde zum Bischofssitz, einem Dominikanerkloster, und vor allem zum wichtigen Schauplatz und Veranstaltungsort während des Konstanzer Konzils 1414-1418. Nach der Säkularisierung des Klosters 1785 beherbergte das Gebäude eine Stoffdruckerei, bis es 1875 von der Zeppelin-Familie zum Hotel umgebaut wurde. Ich hätte es äußerst reizvoll gefunden, im ehemaligen Kloster zu logieren, aber Sibylle traf im ›Riva‹ vermutlich eher auf ihre potenzielle Klientel. Außerdem lag ihr Hotel näher bei Leonardos Wohnung. Und das war natürlich praktisch.

     
    Ich streckte die Beine aus und genoss den Moment. Tatsächlich fühlte ich mich wie in Ferien in einem fernen Land. Losgelöst von alltäglichen Pflichten, Notwendigkeiten und Gewohnheiten. Gestern Abend hatten wir gerade ein paar hundert Meter von hier am See gepicknickt. Wenn ich wollte, brauchte ich nur die Seestraße, die für Motorfahrzeuge gesperrt ist, zu überqueren, um mich direkt ins Wasser fallen und im Konstanzer Trichter von der Strömung treiben zu lassen oder dagegen anzuschwimmen. Unter diesem Aspekt verstand ich, dass

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