Liebling, Ich Kann Auch Anders
Eva jetzt, im Sommer, nicht von hier wegwollte. Aber für sie gab’s noch andere Gründe, die mir allerdings eher missfielen.
Punkt zwölf Uhr trat unsere Freundin an den Tisch. »So lässt es sich leben!«, stellte sie mit Blick auf unsere Gläser fest und nahm Platz. Sibylle füllte ihr Glas und wir stießen an.
»Musst du nicht eine Stunde warten, nach der Behandlung?«, erkundigte ich mich, doch Eva winkte ab.
»Für heute Nachmittag schlage ich eine Stadtführung vor, dann eine Bootsfahrt, und den Abend würde ich gern mit euch auf der Insel Mainau verbringen«, lockte sie. Wir waren sowohl mit der Stadtführung als der Bootsfahrt und besonders mit der Blumeninsel einverstanden.
»Wie war’s beim Zahnarzt?«, erkundigte sich Sibylle. Eva schaute mich kurz und misstrauisch an. Ich lächelte und zuckte mit den Schultern, um ihr zu signalisieren, dass ich nichts Verfängliches ausgeplaudert hatte. Wir sind zwar drei Freundinnen, aber der Informationsfluss zwischen uns vollzieht sich dennoch differenziert. Sibylle steht uns beiden vermutlich gleich nahe. Eva und mich verbindet schon eine außerordentlich innige Freundschaft, die sich für uns beide mit der zu keiner anderen Frau vergleichen lässt, doch selbstverständlich vermeiden wir taktvoll alles, was Sibylle Anlass bieten könnte, sich zurückgesetzt zu fühlen.
»Ist eine tolle Praxis in der Beletage eines herrschaftlichen Altstadthauses. Höchst moderne Ausstattung unter eindrucksvollen Stuckdecken. Alles wirklich sehr schnieke. Und was ich zum ersten Mal erlebt habe: Ich kam pünktlich dran.«
»Also perfekt organisiert?«
»Sieht so aus. Die Frau des Dottore erledigt die Honneurs. Sie ist wirklich sehr reizend. Eine kleine Schwarzhaarige mit Pagenschnitt. Italienischer Typ. Ich war ihr übrigens ein Begriff. Sie ist begeisterte Leserin meiner Kolumne. Er ist auch ganz nett, wirkt auf mich allerdings etwas kühl und pedantisch.«
»Kann ja bei einem Zahnarzt nicht schaden«, fand ich.
»Stimmt! Stellt euch vor, im Behandlungszimmer hing schräg über mir ein Monitor, der zunächst die Börsenkurse und dann meine Zähne in Panorama-Aufnahme zeigte!«
»Wozu brauchst du ’ne Panorama-Aufnahme deines Kiefers, wenn du dir lediglich den Zahnstein entfernen lassen willst?«, erkundigte sich Sibylle misstrauisch.
»Der Doc meinte, man müsse alles insgesamt abklären. Aber es gab keine Probleme.«
»Wieso sollte es auch? Du hast doch einwandfreie Zähne!«, ereiferte sich Sibylle. »Das bestätigt dir unsere Zahnärztin jedes Mal.«
»Danke, dass du das sagst. Ich war zwar auch immer dieser Meinung, aber vorhin in der Praxis kamen mir dann doch Zweifel.«
»Wieso das denn?« Sibylle wirkte erzürnt. Obwohl sie ihn überhaupt nicht kannte, hatte sie den Zahnarzt offenbar zu ihrem Feind erkoren.
»Na ja, er fragte so seltsam, ob ich rauche, Tee, Kaffee und Rotwein trinke. Klar trinke ich Kaffee und Rotwein und Tee natürlich auch. Das verfärbt schon mit der Zeit die Zähne, aber bei der halbjährigen Dentalhygiene geht das immer wieder weg. Doch so, wie er fragte, musste ich davon ausgehen, dass ich einen wahren Schrotthaufen im Mund habe und nur mithilfe seiner Verblendungen wieder zu einem ansehnlichen Menschen werden kann.«
»Das ist ein Verblendungsversuch im doppelten Sinne des Wortes«, ereiferte ich mich. »Lass dir bloß keinen Schwachsinn einreden!«
»Was er als Verfärbung bezeichnete, war nicht das Einzige. Darüber, dass meine Zähne nicht ganz regelmäßig sind, hat er sich auch ausgelassen. Aber das stört mich nun überhaupt nicht. Ich finde es viel schlimmer, wenn schon aus einem Kilometer Entfernung zu erkennen ist, dass Zähne falsch sind.«
»Das ist auch furchtbar. In Amerika laufen massenweise Leute rum, die nur aus blendend weißen Zähnen zu bestehen scheinen. Der übrige Mensch ist luftgetrocknet und verschrumpelt. Das ist richtig gruselig«, berichtete ich über meinen jüngsten Wahrnehmungen. Außerdem dachte ich dabei an Krieglinde.
»Also du bist geröntgt worden, hast ’ne Panorama-Ansicht deines Gebisses bekommen und dich demoralisieren lassen«, resümierte Sibylle. »Und wie war die eigentliche Behandlung, wegen der du hingegangen bist?«
»Die findet erst morgen Nachmittag statt.«
»Ah ja, so ist es natürlich leicht, pünktlich zu sein. Und morgen kriegst du Teil zwei der Gehirnwäsche verpasst. Zu dumm, dass wir morgen zurück müssen! Ich hätte mir den Herrn doch gern mal aus der Nähe
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