Lieblingslied: Roman (German Edition)
war kaum drei Meter von uns entfernt auf einem Holzgestell aufgebahrt. Ich hätte mir eine größere Distanz gewünscht. Von meinem Platz in der ersten Reihe aus konnte ich mein Spiegelbild in der hochglanzpolierten Oberfläche des Sarges erkennen, was mein Gefühl noch verstärkte, dass hier ein großer Teil meines Lebens zu Grabe getragen wurde.
Der Pastor hinter der Kanzel drosch reichlich Phrasen. »Einen geliebten Menschen zu verlieren ist nie leicht. Wir Hinterbliebenen beweinen stets den Verlust, gleichgültig, ob es sich um einen Menschen in der Blüte der Jugend oder am Abend des Lebens handelt …« Bla, bla, bla.
Ich blendete den Pastor und seine Rede einfach aus. Ich hatte schon zu viele Beerdigungen von geliebten Menschen erlebt und wusste beinahe auswendig, was gesagt werden würde. Und was auch gesagt wurde, nicht Worte, sondern die Zeit linderte den Schmerz.
Hope saß an meiner Seite, hielt meinen Arm umklammert. Für sie war es im Gegensatz zu mir das erste Mal, dass sie an einer Beerdigung teilnahm, und sie schien alles aufmerksam in sich aufzusaugen.
»Alles in Ordnung mit dir?«, flüsterte ich.
Hope nickte. »Die Blumen sind sehr schön. Ich glaube, Mami würden sie gefallen.«
»Ja, da kannst du recht haben. Schätze, wir können später ein paar mit nach Hause nehmen.«
Nach dem Trauergottesdienst folgten wir dem Leichenwagen zum Friedhof, hörten eine weitere kurze Ansprache und sahen zu, wie der Sarg in die offene Grube hinuntergelassen wurde. Danach kamen Familienmitglieder und Trauergäste zu Hope und mir, umarmten uns und sagten tröstende Worte. Einige wollten gern länger mit uns sprechen, fragten, wie es uns ginge und ob sie etwas für uns tun könnten. Ich bedankte mich für die Angebote und machte deutlich, dass wir nur so schnell wie möglich wieder nach Hause wollten.
Schließlich und endlich konnten wir uns aus der Menge lösen und zum Wagen gehen.
»Ich muss noch schnell jemanden anrufen, bevor wir uns auf den Heimweg machen«, sagte ich zu Hope und ließ den Motor an. »Also bitte warte kurz. Anschließend können wir uns unterhalten, okay?«
Hope nickte und fuhr sich mit dem Finger über die Lippen, zum Zeichen, das sie schweigen würde.
Ich steckte mir das Bluetooth Headset ins Ohr und wählte über Sprachsteuerung die Nummer meiner ehemaligen Chefin.
»Hallo, Jessica? Ethan Bright hier.«
»Ethan? Wie geht es Ihnen?« Der zuckersüße Ton überraschte mich. Ich hatte nicht geahnt, dass sie auch diese Klaviatur beherrschte.
»Gut. Danke. Sagen Sie, ist es zu spät, um mich bei Ihnen zu entschuldigen? Wegen meiner Ausdrucksweise bei unserem letzten Gespräch.«
»Nicht nötig. Ich muss mich entschuldigen. Ich hatte keine Ahnung, was Sie durchmachen. Ihre Kündigung habe ich übrigens nicht akzeptiert. Ich wollte abwarten, ob es eine Chance gibt, Sie wieder für uns zu gewinnen.«
»Deshalb rufe ich eigentlich an.«
»Dem Himmel sei Dank! Wann können Sie wieder anfangen?«
»Warten Sie – das ist nicht der Grund meines Anrufs. Ich wollte mit Ihnen zwar über einen Job sprechen … aber meine alte Stelle will ich nicht wiederhaben.«
Jessica klang verwirrt. »Aber diesen Job beherrschen Sie wie kein anderer. Sie sind meine Nummer eins! Schon vergessen?«
»Nein, das ist nicht vergessen. Aber ich erinnere mich auch, dass ich dabei nicht sehr glücklich gewesen bin. Ich wollte nur mal fragen, ob ich meinen ursprünglichen Job bei der Agentur zurückbekommen kann. Den Job, mit dem ich angefangen habe. Ich glaube, der ließe sich mit meiner gegenwärtigen Lebenssituation am besten vereinbaren.«
»Haben Sie nicht als Jingle-Komponist angefangen?«
»Ja, das ist richtig.«
»Aber mit diesem Job verdienen Sie die Hälfte von dem, was Sie in meiner Abteilung bekommen.«
Ich warf einen hastigen Blick in den Rückspiegel und auf Hope. Sie merkte es und lächelte. »Ich weiß. Aber der andere Job hat Vorteile, die nicht zu bezahlen sind.« Ich war sicher, Jessica hatte keine Ahnung, wovon ich redete.
Mit einem ostentativen Seufzer erwiderte sie: »Also, wenn Sie das unbedingt wollen, sind Sie ab jetzt wieder unser Jingle-Komponist. Sie können anfangen, wann Sie möchten.«
»Wie wär’s mit nächster Woche?«
Jessica murmelte am anderen Ende etwas, das sehr enttäuscht klang. »Ich informiere Ihren neuen Chef, dass er mit Ihnen rechnen kann«, bemerkte sie schließlich.
»Danke.«
»Passen Sie auf sich auf, Ethan.«
Ich drückte den Knopf an meinem Headset
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