Lieblingsstücke
nochmal untermauert werden. Die Folge ist, dass Claudia aufsteht, sich ihren Puddingrest schnappt und den Tisch verlässt. Zurück bleibt mein verstörter Vater, der sich ein Mittagessen im Kreise meiner
Kleinfamilie wahrscheinlich harmonischer vorgestellt hat, und Mark, der ein wenig verängstigt wirkt.
»Muss ich zu der ins Zimmer? Die haut mich bestimmt«, bringt er vorsichtig an.
»Das sehen wir dann«, beende ich das Thema. »Mach deine Hausaufgaben, du hast nachher Fußball.«
So, das hätten wir. Mein Vater beschließt, sich nach diesem Gezacker erst mal eine Runde hinzulegen.
»Ich mache meinen Mittagsschlaf«, sagt er und steht vom Tisch auf.
»Papa, das darfst du alles nicht so ernst nehmen, das ist Alltag. Nichts Besonderes«, tröste ich den sichtlich Angeschlagenen.
»Dann tust du mir wirklich leid. Was für eine Hektik hier. Da musst du wirklich was tun. Das geht so nicht.«
Wie fein, dass mein Vater mir auch noch einen mitgibt, bevor er sich hinlegt.
Ich brauche Zuspruch und rufe nochmal bei Christoph an. Er ist bester Dinge. Man hört an seiner Stimme, dass der Prozess gut gelaufen ist.
»Gewonnen, Andrea«, triumphiert er.
Freut mich für ihn. Ich schildere meinen Tag und jammere mich richtig aus.
»O Gott, du Arme«, zeigt er Mitleid.
Das mit meinem Vater scheint ihn nicht weiter zu stören.
»Wenn der sieht, wie es bei uns zugeht, bleibt der garantiert nicht lange«, tröstet Christoph mich. »Der kann doch gar nicht ohne deine Mutter. Zwei Tage gebe ich ihm, dann ist der wieder weg und sitzt daheim in seinem Fernsehsessel. Du wirst sehen.«
Ich bin nicht ganz so sicher, aber absolut gewillt, ihm
zu glauben. »Danke«, sage ich, »komm nicht so spät. Ich brauche dich hier.«
»Dicken Kuss auf die Nuss«, turtelt mein Mann und legt auf.
Ach, das war schön. Einfach mal Verständnis pur. Wie liebevoll er sein kann.
Das ist durchaus nicht immer so. Weder bei ihm noch bei mir. Vielleicht gibt es Leute, die das hinkriegen, ständige Liebenswürdigkeit – meine Bewunderung ist ihnen sicher. Ich glaube, dass es in langen Beziehungen auch immer mal wieder öde vor sich hinplätschert. Das mag absolut ernüchternd klingen, ist aber die Realität, und Vieles beruht letztlich auf dem Gesetz der Wechselwirkung. Man selbst ist muffig, der andere reagiert muffig. Solange niemand diesen Muffel-Kreislauf durchbricht, ändert sich die Grundstimmung auch nicht. Jeder weiß das, und trotzdem kann man oft nicht über seinen Schatten springen. Eine Krux.
Momentan ist die Stimmung gut. Wahrscheinlich auch, weil Christoph weiß, dass am Wochenende der Marathon ansteht, er also nicht da ist und mich mal wieder mit den Kindern alleine lässt. Ein latent schlechtes Gewissen ist also in diesem Fall von Vorteil.
Ich setze mich zu Mark und leiste ihm Hausaufgabengesellschaft. Allerdings weigere ich mich, im Gegensatz zu vielen anderen Müttern, die Aufgaben gleich selbst zu erledigen. Gerade wenn es um Kunst oder Werken geht, ist man doch überrascht, was Neun- oder Zehnjährige angeblich selbst gemacht haben sollen. In diesen Wettbewerb steige ich gar nicht erst ein. Vor allem, weil ich fast noch schlechter male als mein Sohn. Deshalb verweigere ich mich in dieser Hinsicht. Aber wenn ich ihn komplett
sich selbst überlasse, sieht das Ganze, wie schon erwähnt, auch dementsprechend aus. Also, same procedure as every day: Ich mahne, ermuntere, und wir beide sind sehr froh, als er endlich mit den Hausaufgaben fertig ist. Alles gut gelaufen. Nicht ein einziger, kleiner Tobsuchtsanfall. Wunderbar. Das hätte mir nach dem turbulenten Mittagessen auch gerade noch gefehlt. Es gibt manchmal doch noch so was wie ausgleichende Gerechtigkeit. Nach den Hausaufgaben würde Mark bis zum Fußball gerne noch eine Runde spielen, aber in seinem Zimmer schnarcht mein Vater vor sich hin.
»Was soll ich denn jetzt machen?«, fragt er mich nicht ganz ohne Hintergedanken und mit sehnsüchtigem Blick auf den Fernseher.
Ich gebe mich geschlagen. Normalerweise hätte ich ihn rausgeschickt, aber es ist typisches Novemberwetter – grau und regnerisch.
»Willst du nicht ein bisschen lesen?«, schlage ich noch vor, wissend, dass das sehr wahrscheinlich keine Begeisterungsstürme auslösen wird. Ich habe mal wieder recht gehabt. Ich opfere meine Prinzipien für meinen Vater und erlaube Fernsehgucken am Nachmittag. Mark ist verzückt.
»Von mir aus kann Opa sehr lange hier wohnen, auch für immer«, zeigt er sich
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