Lieblingsstücke
»Gut.«
Denkt die etwa, Opa und Mark würden gemeinsam ins Hochbett kriechen? ›Raus mit der Wahrheit, Andrea‹, raffe ich mich auf. Es wäre ja noch schöner, wenn ich mich vor einem Kind fürchten würde. Tue ich aber manchmal ein bisschen, nicht vor ihr, aber vor ihrer aufbrausenden Art.
»Ja, Kinder, ihr werdet zusammen bei Claudia im Zimmer schlafen. Das wird sicher lustig«, verkaufe ich das Ganze so attraktiv wie möglich.
»Auf keinen Fall«, kreischt die kleine Mini-Furie. »Das geht gar nicht, da bring ich mich um«, beendet sie den Satz mit größtmöglicher Theatralik.
Selbstverständlich verkneife ich mir zu sagen, dass wir dann ja kein Zimmerproblem mehr hätten. Mein Vater betrachtet die Szenerie voller Panik.
»Also Kinder, es kann ja auch einer bei mir schlafen«, bietet er an, aber ich sehe an seinem Gesichtsausdruck, dass seine Enkelin auf der Opa-Beliebtheitsskala gerade einen rasanten Abstieg hingelegt hat. Männer wie mein Vater finden, dass man seine Kinder im Griff haben sollte. Und für ihn sieht es ganz offensichtlich so aus, als hätte ich damit Schwierigkeiten.
»Da wird nicht diskutiert«, setze ich mich, unter einem gewissen väterlichen Druck, nun zur Wehr. »Stell dich nicht so an, Claudia, es geht doch nur um ein paar Tage.«
Sie fängt an zu weinen.
»Das halte ich nicht aus«, schluchzt sie los. Schleusen auf – Wasser marsch. Welch eine Inszenierung. Der von
Germany’s next Topmodel
– dieser Bruce Darnell – wäre begeistert. Drama, Baby, Drama! Wut, Empörung, Trauer – und das alles in wenigen Minuten. Ich werde später mal die stolze Mutter eines Müllmannes und einer Schauspielerin sein.
»Du wirst es aushalten müssen«, schaffe ich Fakten.
»Was krieg ich dafür?«, kommt es nun aus dem eben noch schluchzenden Mund.
Während ich über eine möglichst kluge und möglichst pädagogisch wertvolle Antwort nachdenke, also überlege, wie man nichts ein wenig erfreulich klingen lassen kann, meldet sich mein Sohn zu Wort.
»Ich will bei meinem Opa schlafen, oder bei euch«, bietet er direkt noch eine Alternative an, »aber nicht bei der.«
Da tun sich ja irrsinnige Abgründe zwischen meinen Kindern auf. Ist das etwas, was behandelt werden muss, oder kann man das noch unter normale Geschwisterstreitereien subsumieren? Ich bin unsicher. Claudia merkt, dass sie die Hexenrolle in diesem Stück verkörpert.
»Du kannst bei mir schlafen«, macht sie einen Schritt auf ihre vermeintlichen Gegner zu und fixiert mich.
Was soll denn das werden? Ein lustiger Ringelreihen? Bettentausch leicht gemacht? Ich schlafe bei Claudia, und wer schläft dann bei Christoph? Etwa doch mein Vater? Am besten wir quetschen uns alle in einen Raum, damit keiner ein Zugeständnis machen muss.
»Ich kann auch ins Hotel gehen«, zickt jetzt auch noch mein Vater wie eine enttäuschte Diva rum.
Am liebsten würde ich die gesamte Bagage ins Hotel schicken oder, noch besser, mich selbst ins Hotel verdrücken.
»Nein, Opa, du sollst bei uns bleiben«, macht mein Sohn gut Wetter. Und auch Claudia stimmt zu.
»Um dich geht’s doch gar nicht. Ich will nur den nicht haben. Übrigens ich hab eine Vier in Mathe.«
Auch das noch. Seit Claudia auf dem Gymnasium ist, sind wir nicht gerade verwöhnt, was ihre Noten angeht, aber eine Vier? Klar, das ist keine Katastrophe, aber eine Vier ist so nah an der Fünf. Mit einer Drei könnte ich hingegen gut leben. Da ist nach oben und unten noch ausreichend Luft. »Die Drei ist die Eins des kleinen Mannes«, sagt eine Freundin von mir, und es stimmt. Ich zeige zunächst wenig Reaktion, aber auch ohne dass ich meckere, beginnt Claudia ihre Verteidigungsarie.
»Die Arbeit war voll schwer. Es gibt nur eine Eins und soo viele Fünfen. Ich bin echt froh, dass ich eine Vier habe.«
Angriff ist die beste Verteidigung. Erwartet Claudia jetzt auch noch Applaus für ihre Vier? Geschenke? Glaubt sie, ich hätte einen solchen Text noch nie gehört? Ich erinnere mich sehr gut an meine eigene Argumentation, die damals verdammt ähnlich geklungen hat. Das Ärgerliche an der Vier ist, dass man als Mutter, die für die Arbeit mitgeübt hat, sich fast schon so fühlt, als ob man selbst die Vier geschrieben hätte. Egal. Eins nach dem anderen.
»Da reden wir später drüber«, vertage ich die Mathearbeitsdiskussion, »und was die Zimmer angeht, wird das so gemacht, wie ich es gesagt habe.«
Ich bin hier die Mutter, und das musste doch jetzt durch eine deutliche Aussage
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