Lieblingsstücke
Idee. Die kleine Hexe hat einen ihrer freundlichen Momente und man erkennt das Kind wieder, das man über Jahre hatte und nun manchmal so schmerzlich vermisst. Ich nehme sie fest in den Arm, und sie wehrt sich kein bisschen. Ich weiß nicht, wie der Deal mit meinem Vater aussieht, aber es muss für meine Tochter ein sehr lukratives Geschäft sein.
»Es tut mir leid, Mama«, sagt sie, »das war blöd von mir.«
Jetzt wird es mir aber langsam unheimlich. Hat mein Vater das Kind hypnotisiert oder unter Drogen gesetzt?
»Geht es dir auch gut?«, erkundige ich mich vorsichtig.
»Wunderbar«, sagt sie nur.
Mehr muss ich nicht wissen.
Mein Vater zieht sich an den Computer zurück, und Mark und ich machen uns auf den Weg zum Fußball. Mark geht zweimal die Woche zum Training. Er spielt gerne Fußball. Nicht besonders gut, aber sehr gerne. Ich würde
niemals behaupten, dass er die Stütze der Mannschaft ist, aber der Schlechteste ist er nun auch wieder nicht. Irgendwas dazwischen. Mittelmaß. Völlig egal – Hauptsache er hat Spaß. Das sagen alle Eltern im Brustton der Überzeugung, aber ganz so ist es in Wirklichkeit natürlich nicht. Das merkt man vor allem bei den Turnieren und Spielen am Wochenende. Da sind Erwachsene ernsthaft beleidigt, weil ihr Kind häufiger ausgewechselt wurde als andere. Manche sitzen sogar mit Stoppuhren da, um das ganz genau zu dokumentieren. Und angeblich hat es nie was mit dem elterlichen Ehrgeiz zu tun, sondern es geht immer nur um die Gerechtigkeit. Mit Gerechtigkeit alleine gewinnt man aber dummerweise kein Spiel. Wer also bei der Mannschaftsaufstellung auf Gerechtigkeit pocht, muss in dieser Hinsicht demzufolge auch eine gewisse Schmerzfreiheit haben. Die Eltern der guten Spieler haben aber hiermit häufig ein Problem. »Warum muss mein Sohn raus, damit der rein kann?«, meckern sie. Nicht ganz zu Unrecht, denn es gibt Kinder, die kaum wissen, in welches Tor der Ball muss. Die zwar fröhlich auf dem Rasen rumspringen, aber so gut wie keinen Ballkontakt haben. Ein Dilemma, vor allem für den Trainer, der es natürlich nie allen recht machen kann. Denn wenn er die kleinen Nieten nicht aufstellt, dann werden die jeweils dazugehörigen Mütter sehr schnell sehr sauer. »Der Louis kommt immer zum Training, da muss er auch spielen dürfen. Das ist sonst total unfair«, schmeißen sie sich für ihren Nachwuchs in die Bresche. Kein Job, um den ich den Trainer beneide. Die beste Lösung wäre mit Sicherheit, die Eltern würden nicht mitkommen. Viele sind sogar beim Training dabei. Binden Schnürsenkel von Zehnjährigen, die ihnen ohne ein Bitte oder Danke die Füße hinstrecken, reichen Apfelschnitzchen
und halten Trinkflaschen parat. Am liebsten sind mir die, die am Rand sitzen, auf der schmalen Holzbank und rumkrakeelen. »Lauf Denis, den kriegste noch, mach ihn rein.«
Beim Fußball treffen Welten aufeinander. Verschiedene Nationen, Menschen aus allen Klassen. Die türkischen Mütter sind eigentlich die coolsten. Die nutzen die Zeit, sitzen zusammen, schwätzen und kümmern sich null um das, was auf dem Rasen vor sich geht. Beispielhaft. Ich liefere Mark ab und erledige während der Trainingszeit ein paar Einkäufe.
Unterwegs meldet sich mein Bruder Stefan auf dem Handy. Ich erkläre ihm die Sachlage und der Kerl lacht und findet, dass meine Mutter ein flotter Feger ist. Perfide Bemerkung, schließlich stammt der Ausdruck »flotter Feger« von meinem Vater.
»Wir fahren heute Abend zu Mama und reden mit ihr«, bringe ich ihn auf den Stand der Dinge.
»Willst du mit oder vielleicht besser solange Papa Gesellschaft leisten?«, frage ich noch.
»Birgit meint, es wäre gut, wenn du zu Papa fahren würdest, während wir mit Mama reden.«
Schnell den schwarzen Peter rüber zu Birgit. Sie hat ihn verdient. »Eigentlich hatte ich schon was anderes vor, aber gut, ich kann zu Papa«, zeigt er sich einsichtig.
»Prima, Christoph ist auch da und die Kinder, da könnt ihr euch einen netten Abend machen. Ist bestimmt einfacher als mit Mama«, beende ich das Gespräch.
Einfacher sicherlich, aber auch weniger spannend.
Um Viertel nach sieben mache ich mich auf den Weg. Mein Bruder ist natürlich noch nicht da, Christoph auch nicht,
aber mein Vater wird ja in der Lage sein, mal ein halbes Stündchen auf die Kinder aufzupassen.
»Gar kein Problem«, tönt er auch selbstsicher.
»Essen ist im Kühlschrank«, gebe ich letzte Anweisungen und verlasse das Haus.
Eigentlich eine praktische
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