Lieblingsstücke
Angriff ein wenig abzumildern, »das ist doch vielleicht etwas zu weit gegriffen.«
Birgit wirft mir einen giftigen Blick zu.
»Jetzt rede ich mal«, zischt sie mich an.
Ich würde gerne sagen: ›Wieso eigentlich?‹ und ›Redest du nicht immer?‹, lasse es aber. Soll sie doch. Ob ihr Vorgehen bei Mama Erfolg hat, wage ich zu bezweifeln.
»Birgit, du übertreibst mal wieder maßlos«, bleibt meine Mutter erstaunlich ruhig.
»Mama«, mache ich quasi einen Vorschlag zur Güte, »erzähl uns doch einfach mal, was passiert ist, und dann sehen wir weiter.«
Meine Mutter schweigt. Augenscheinlich überlegt sie.
»Wozu sind wir auch sonst hier?«, tritt Birgit nochmal nach. »Dann hättest du auch gleich sagen können, dass du nichts sagst, und wenigstens zwei von uns wären jetzt dort, wo sie hingehören, nämlich bei ihren Männern«, setzt sie Mama unter Druck.
Noch zwei solcher Sätze und ich nenne sie Eva Herman. Wertekonservativ ist nix dagegen. Sie tut ja gerade so, als hätte Mama Papa zerstückelt und würde gerade ein feines Würz-Gulasch aus seinen Resten zubereiten, um es uns später aufzutischen.
»Birgit, du vergreifst dich entschieden im Ton!«, wehrt sich meine Mutter. »Gerade du solltest bei dem Thema ein bisschen zurückhaltender sein.«
Jetzt wird es richtig interessant. Was soll denn diese Bemerkung bedeuten? Hat Birgit ihren Kurt betrogen? Wenn ja, hätte sie von meiner Seite vollstes Verständnis.
»Das hat jetzt hier nichts zu suchen. Wir sind nicht hier, um über mich zu reden«, kontert nun Birgit.
Jetzt sind wir fast schon eine halbe Stunde hier und ich bin kaum schlauer als zuvor.
»Mama, ich verstehe gar nichts, aber wenn du nicht reden willst, musst du auch nicht«, probiere ich eine ganz andere Taktik.
Ich fühle mich richtig klug und überlegen. So besonnen.
»Wenn ihr es unbedingt wissen wollt, bitte schön«, startet meine Mutter mit ihrer Betrugsschilderung. »Ich, also wir, der Papa und ich, kennen den Fred vom Golf. Wenn wir auf dem Platz sind, ist der eben auch oft da. Und so sind wir ins Gespräch gekommen. Der Fred und ich. Wegen des Rasens. Ihr glaubt gar nicht, was die für einen schönen Rasen haben. Dieses Grün, unglaublich«, macht sie eine kleine Pause.
»Aber eure Nachbarn, die Wegeners, haben auch einen schönen Rasen. Aber deswegen steigst du doch auch nicht mit dem alten Wegener in die Kiste?«, gebe ich zu bedenken.
Meine Mutter schüttelt den Kopf.
»Natürlich nicht, Andrea. Hast du dir den Jürgen mal angeschaut? Der ist ja völlig indiskutabel. Da ist der Fred ein ganz anderes Kaliber.«
Das hoffe ich für meine Mutter. Jürgen, Herr Wegener von nebenan, ist selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht als attraktiv zu bezeichnen. Um nicht zu sagen – er ist ein kleiner hässlicher alter Mann. Ein biestiger Kauz. Das ist nicht freundlich, aber die Wahrheit.
»Ja, aber wie kommt man denn vom Rasen ins Bett?«, verlange ich doch noch nach ein bisschen mehr Information.
Nur weil jemand einen schönen Rasen hat, muss man ja nicht zwangsläufig Sex mit ihm haben. So viel verstehe selbst ich von Logik.
»Na ja, erst haben wir eben über den Rasen gesprochen und dann hat Fred versprochen, mal nach unserem Rasen zu gucken. Um uns ein paar Tipps zu geben. Zur Rasenpflege.
Netterweise hat er mir dann auch gleich den Rasen gemäht. Obwohl es schon Herbst war!«
»Mama, euer Rasen ist ein wirklich aufregendes Thema – aber wie ist er denn vom Rasen in dein Bett gekommen?«, lenke ich das Thema wieder in die entscheidende Bahn.
Gartenpflege hat mich noch nie besonders interessiert.
»Wir haben uns dann nach dem Mähen noch ein bisschen unterhalten und der Fred hat mir gesagt, dass mein Rasen zwar nicht sehr saftig ist, ich selbst aber in voller Blüte und vollem Saft stehe.« Sie seufzt.
Was für ein Sülzer. In voller Blüte und vollem Saft! Hätte nicht gedacht, dass meine Mutter für so ein läppisches Sätzchen zu haben ist. Irgendwie hat das auch fast was Unappetitliches.
»Und dann?«, hake ich nach.
»Dann kam halt eines zum anderen. Und auf einmal war es passiert.«
»Ihr hattet hier im Haus Sex? In eurem Ehebett?«, frage ich schockiert.
Man ahnt ja, dass Eltern Sex haben, oder jedenfalls mal hatten, aber auf Details lege ich eigentlich keinen Wert. Im Ehebett mit einem anderen. Ich muss schon sagen, bei aller liberalen Haltung, das finde ich doch recht dreist von meiner Mutter. Meine Schwester ist komplett entsetzt.
»Wie konntest du
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