Lieblingsstücke
würde, weil ich es ja so selten brauche. Was nun? Wenn ich den BH weglassen würde, wäre der Rotweinfleck auch weg, zugehängt sozusagen, aber ohne BH zu gehen, ist undenkbar. Schließlich trage ich Originalbrüste und die haben nun mal einen fatalen Drang in Richtung Fußboden. Ob das besser aussieht als ein fetter Rotweinfleck? Keine der beiden Varianten kann mich wirklich begeistern. Ich bin ratlos. Ohne Kleid kein Ball. Schöne Ausrede. Aber damit komme ich bei Christoph nicht durch. Außerdem weiß ich, dass ihm dieser Ball wirklich wichtig ist. Nicht weil er gerne auf Bälle geht, er hockt hundertmal lieber vor der Glotze, aber er glaubt an die Verflechtung von gesellschaftlichen Events und Geschäft. Neulich hatte er sogar die Idee, mit dem Golfspiel anzufangen, nur um Arbeitskontakte zu pflegen und das, obwohl er Golf für einen Opi-Sport hält. Nämlich eigentlich für keinen Sport.
Natürlich könnte ich meinen Standard-Hosenanzug in Schwarz tragen. Der geht eigentlich immer, egal ob Beerdigung oder Taufe. Aber so richtig balltauglich ist der nicht.
Da kommt mir die Idee: Ich leihe mir was.
Schnell rufe ich Iris an. Ich kenne sonst niemanden, dem ich zutraue, eine Auswahl an Abendkleidern zu besitzen.
»Was macht mein Wickelkleid?«, will sie als Erstes wissen.
»Es sieht gut aus. Müsste morgen hier sein«, gebe ich ihr die erlösende Antwort.
Natürlich hätte ich es ihr auch heute schon überreichen
können, aber da würde selbst Iris auffallen, dass da was nicht stimmen kann.
»Du bist meine Retterin! Aber jetzt sag, wie willst du aussehen?«, fragt sie mich. »Sexy, aufregend, elegant oder eher glamourös?«, verlangt sie genaue Vorgaben.
»Eigentlich von allem was, wenn das geht«, antworte ich, wissend, dass das nicht ganz so leicht wird. Schließlich soll ich in dem Kleid stecken.
»Kein Problem, ich bring dir was vorbei. Du hast echt was gut bei mir.«
Wunderbar. Zwar hat Iris gut eine Größe kleiner als ich, aber in irgendeins ihrer Kleider werde ich schon reinpassen. Wozu hat Gott Stretch erfunden? Prinzip Hoffnung.
Und es klappt tatsächlich. Ich kann mich in ein wunderschönes, schwarzes Kleid reinquetschen. Ein sogenanntes Neckholderkleid. Das bedeutet, der Rücken ist frei und die Träger werden um den Hals geschlungen. Natürlich sind deshalb auch die Arme frei, aber ein Kleid mit Ärmeln hatte Iris leider nicht im Angebot. Dafür ein goldenes, komplett mit Pailletten bestickt. Mit majestätisch anmutendem Stehkragen. Stehkragen ist schick, vor allem für sehr schlanke Menschen. Ansonsten streckt ein Ausschnitt doch mehr. Außerdem habe ich keinen besonders langen und schmalen Hals. Auch ein Argument gegen das Goldkleid. Und irgendwie habe ich mich darin auch nicht wohlgefühlt. Ich sah aus wie ein gigantisches, aufwändig verpacktes, halsloses Geschenk. Eins von der Sorte, bei dem die Verpackung mehr hermacht als der Inhalt. Eine Art lebender Christbaum. Der Favorit von Iris ist ein lilafarbenes Tüllkleid. Korsage oben, unten ein riesiges Tüllgewirr.
»Lila ist das neue Schwarz«, erklärt sie mir mit völlig ernster Stimme. War nicht Grau das neue Schwarz? Wie weit wird das noch gehen? Ist irgendwann Gelb das neue Schwarz? Oder sogar Weiß? Sind wir alle verrückt geworden? Vierzig ist die neue Dreißig und Schwarz bald Gelb. Ich entscheide mich trotzdem gegen das lila Kleid. Es ist so eng, dass ich überhaupt nicht sitzen kann. Selbst atmen fällt schwer. Mein Busen ist in der Korsage so abgequetscht, dass mein Herz wahrscheinlich kein Blut in die unteren Extremitäten pumpen kann. Ich bin bereit, für gutes Aussehen Einschränkungen in Kauf zu nehmen, aber atmen wäre schon schön. Außerdem möchte ich nicht, dass mir beim Ball auf einmal die Beine abfallen. Dann nehme ich eben nicht das neue, sondern das alte Schwarz.
»Du bist so blass in dem Schwarzen«, wagt Iris leichte Kritik.
»Iris, es ist Winter, da liege ich nun mal selten in der Sonne. Ich verbringe meine Zeit leider nicht auf den Malediven«, entgegne ich. Diese rund ums Jahr knusprig braungebrannten menschlichen Brutzelhähnchen sind mir suspekt. Außerdem macht dieses tief Dunkelbraune auch alt, sagen jedenfalls alle Frauenzeitschriften, und es wirkt irgendwie auch nichtsnutzig.
»Das Problem können wir lösen«, freut sich Iris und holt ihr Handy aus der Handtasche.
»Moment mal«, will ich intervenieren, aber sie sagt nur:
»Lass mich mal machen, Andrea.«
Zwei Minuten später gibt sie mir die
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