Lieblingsstücke
Euro sind dir.« Immerhin. Er zackert nicht rum. Andere hätten sicherlich versucht, sich vorm Bezahlen zu drücken. Nach dem Motto: War doch nur ein Spaß. Helge öffnet seine Brieftasche und zieht einen lilafarbenen Schein raus. Der hat echt einen Fünfhunderter einfach so einstecken. Was für ein schöner Schein. »Hier, Frau Besserwisserin, meine Spielschulden.« Alle klatschen.
»Jetzt ist ’ne Runde fällig«, grölt Matthias, der Staatsanwalt, und in einem Anfall von Großzügigkeit reiche ich den Schein über den Tresen und sage: »Die Nächsten gehen auf mich.«
Christoph zieht mich zur Seite. »Sag mal, Andrea, was soll denn das jetzt?«, fragt er entsetzt, fast so, als hätte ich mich an seiner Rente vergriffen.
»Unnützes Wissen«, ist meine Antwort. »Ich hab gewonnen. Also bestimme ich.«
Es wird noch ein sehr lustiger Abend. Ich gewinne weitere zweihundert Euro, das meiste mit der Elfenbeinküste.
»Abidjan«, war sich Ingeborg, eine Richterin am Landgericht Usingen, ganz sicher. Sieben andere haben sich ihr angeschlossen. »Das weiß man einfach«, hat Klaus, ein Zivilrechtler aus Sprendlingen, noch großkotzig geprahlt. Nur Helge ist zurückhaltend.
»Die ist mir unheimlich«, hat er Christoph zugeraunt, und ich muss sagen, das war eigentlich mein schönstes
Kompliment an diesem Abend. Wenn man einem Mann wie Helge unheimlich ist, kann man nicht alles falsch gemacht haben.
»Yamoussoukro ist die Hauptstadt, Abidjan der Regierungssitz«, kann ich erneut auftrumpfen. Ein Anruf bei der Auskunft gibt mir recht. Danach will leider keiner mehr mit mir wetten. Egal, Afrika, ich liebe dich. Morgen fange ich mit Asien an, beschließe ich im Stillen und habe das Gefühl, mich lange nicht mehr so gut amüsiert zu haben. Gut, kann zum Teil auch an den Mojitos liegen.
Dann die Krönung kurz vor dem Heimgehen: Christoph gewinnt bei der Tombola ein Wochenende in New York. Leider nur für eine Person.
»Du bist doch dieses Wochenende schon beim Marathon, ich war noch niemals in New York … «, singe ich ihm, à la Udo Jürgens, angesäuselt, ins Ohr. »Außerdem, wer wollte denn Lose kaufen?«
»Stimmt, ich glaube, ich schenke dir den Gutschein. Da kannst du ja dann die Hauptstädte von den amerikanischen Staaten lernen.«
Ich sage es doch: Es ist ein toller Abend.
Jedenfalls bis wir zu Hause sind und ich die Klebestreifen entfernen will. Es ist die Hölle. Nur so viel – ich habe das Gefühl, mir ohne Betäubung (trotz der fünf Mojitos) bei vollem Bewusstsein die Haut abzuziehen. Ich bitte Christoph um Hilfe, aber von einem Mann, der sich selbst kaum ein Pflaster von einer kleinen Schürfwunde abreißen kann, ist das zu viel verlangt.
»Ich kann das nicht, Andrea. Das tut mir selbst weh. Und es ist irgendwie eklig.«
Ich unterdrücke den Meckerimpuls, denke an meinen New-York-Gutschein, überlege kurz, ob ich meinen Vater
wecken und um Hilfe bitten soll, und lasse schließlich die eine Brust verklebt. Man muss auch am nächsten Tag noch Aufgaben haben. Stattdessen gehe ich, kaum dass Christoph schläft, raus auf die Terrasse und rauche eine.
3
Ich träume von Afrika, applaudierenden Schwarzen, die mich durch ihr Dorf tragen, und erwache mit einem fetten Kater. Mojitos sind lecker, machen aber einen immensen Kopf. Es pocht, als hätte sich eine Armada von Spechten hinter meiner Stirn verschanzt. Wie sagt meine Mutter manchmal? – »Es gibt im Leben nichts umsonst. Du musst immer zahlen.«
Bevor ich auch nur ein Wort von mir gebe, gehe ich runter in die Küche und werfe mir drei Aspirin rein. Viel hilft viel. Hoffe ich jedenfalls. Noch zehn Minuten Zeit bis zum morgendlichen Kinderweckappell. Ich mache mir einen Kaffee und überdenke den Tag.
Heute muss ich den Keller auf Vordermann bringen. Oder wenigstens in den Vor-Kindergeburtstagsspiel-Zustand, Asiens Hauptstädte aufschreiben und eine neue Kassette besprechen. Mark irgendwie bestrafen. Meinen Vater über weitere Pläne befragen, meine Mutter anrufen, ob sie wieder klar ist. Und ganz oben auf meiner Zu-erledigen-Liste steht natürlich Annabelle. Ich will auf keinen Fall zu diesem Seminar. Obwohl ich in meinem momentanen Zustand ein Rebirthing sehr gut vertragen könnte. Aber ein Spontan-Rebirthing. Einfach so. Ohne Kursbesuch und Ähnliches.
An manchen Tagen denke ich, dass ein Leben, nur so für mich allein, auch nicht schlecht wäre. Heute, mit diesem Gehämmere in meinem Kopf, ist so ein Tag. Keine Kinder, kein Reihenhaus, sondern
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